Berlin, Tempelhofer Feld, eine Stadt sagt: „Danke“

Liebe Berliner, Danke, dass ihr mit nicht auch noch an der Lunge herum geschnippelt habt. Ich wusste es ja schon immer, euch bekomme ich auch noch groß, liebe Kinder. Puh, gerade nochmal davon gekommen. Aber ihr habt mich ganz schön ins Schwitzen gebracht.

Gewachsen aus einer Eizelle, dann waren es zwei, Cölln und Berlin, so bin ich entstanden. Ich habe Ecken und Kanten, Licht und Schatten gesehen, tiefe Falten. Aber das gehört zum Leben. Ihr habt mich eingezwängt nach meinen Flegeljahren, das war auch gut so, mit das halbe Herz genommen, aber ich wusste schon immer, irgendwann lasst ihr mich auch wieder frei. So sind eben Städte, wie Kinder, die man erziehen muss, die aber gleichzeitig ihre Eltern auch erziehen.

Und nein, ich will auch nicht jammern, bisher ist es doch ganz gut gelaufen mit uns, meint ihr nicht? Ihr ward immer für mich da, habt meine Wunden versorgt, egal wie tief sie waren, habt repariert und geflickt, und doch, ein paar Narben bleiben immer, sie zeigen, wie ich gelebt habe. Erinnerungen mögen verborgen sein, irgendwo tief in mir drinnen, ihr nennt das Gedenkstätten und Museen. Aber sie sind da, und wie ihr in Büchern lest, so verberge ich mein Wissen in Stein. Mal deutlich sichtbar, an anderen Orten eher verborgen.

Ich bin erwachsener geworden, wohl war, die Pöbeljahre, sie mögen vergangen sein, ich bin vielleicht etwas ruhiger geworden, den zweiten Frühling aber, den habe ich noch lange nicht erreicht. Auf euer Lebensalter umgerechnet bin ich vielleicht so um die 25 Jahre, allenfalls. Ihr seht also, wir haben noch ein paar Jährchen vor uns, und darauf freue ich mich, auch, wenn es manchmal nicht einfach ist, mit euch auszukommen. Aber so ist das eben.

Manchmal könnte ich an euch verzweifeln, aber irgendwie sind wir doch noch immer ganz gut miteinander ausgekommen, und gestern war so ein Tag, an dem ich dachte: „ Man, schön, dass sie begreifen, dass man mir nicht auch noch an der Lunge etwas herausschneiden kann.“ Ich brauche nämlich irgendwo auch noch Luft zum Durchatmen nach anstrengenden Sekunden, tief durchatmen, vorbereiten auf den nächsten Atemzug. Raucher unter euch wissen, was ich meine. Und ein Atemzug, einmal ein- einmal ausatmen, das ist bei mir eben eine Sekunde eures kurzen Lebens. Ja, auch ich brauche Sauerstoff.

Danke, dass ihr mich gelassen habt, wie ich bin, die Lunge, die ist das wertvollste, was ich habe. Schön, dass ihr das begriffen habt, tief im Herzen wusste ich schon immer, egal wie grausam ihr manchmal auch seid, auch ihr habt Herz, Herz mit Schauze eben. Und dass ihr, liebe Berliner, mir wenigen Kreuzen ein Stoppschild aufgestellt habt, das werde ich euch so schnell nicht vergessen. Man, seid ihr genial! Ich wusste immer schon, bessere Eltern hätte ich mir nicht aussuchen können!

Wir werden schon gemeinsam auf uns aufpassen und uns erziehen. Und egal, was passiert, ich bleibe eben immer etwas anders, ihr auch, und so sage ich heute: Berlin bleibt immer eben doch Berlin, als andere Städte, mit vielen zurückgelassenen Koffern, Ecken und Kanten, ein schwer erziehbares Kind, und das ist auch gut so. Das unterscheidet uns von anderen Familien, dieses Patchwork aus allen, die immer ganz schnell eins werden, aufmüpfig und renitent, Alt-Berliner, wenn sie unsere ganz spezielle Berliner Luft einmal geschnuppert haben. Und die paar anderen „buckligen Verwandten“, die kriegen wir auch noch gemeinsam erzogen, wir haben ja viel Zeit, und die gibt es auch in jeder Familie. Und wem es bei uns nicht gefällt, wem es nicht sauber und ordentlich genug ist, der kann ja auch jederzeit wieder gehen, wir halten niemanden auf …

Danke.

©denise-a. langner-urso