Aicha, ISIS, Jugendkriminalität, Jugendgewalt

 

 

Heute wird in unseren Familien gewaltfrei erzogen. Diesen Satz stelle ich an den Beginn und dieser Satz ist die größte Lüge aller Zeiten, Wunschdenken, denn es gibt (hoffentlich und meistens ist das ja auch so, sieht man von den Fällen ab, die uns immer wieder aufschrecken) keine tätliche Gewalt in den Familien, diese Gewalt wurde durch eine viel brutalere Gewalt ersetzt. Durch psychische Gewalt, ja, ich formuliere das so brutal, in allen Familien, ausnahmslos in jeder, und das muss uns bewusst werden, wenn wir Aiche, Jugendgewalt, Jugendkriminalität und ja auch Zschäpe verstehen wollen.

Und auch hier vermische ich all das, was die neue psychische Gewaltspirale in Gang setzt. Diese Gewalt beginnt in den jüngsten Jahren, ist unsichtbar, und Auslöser ist die Wirtschaft. Ein brutales neoliberales System, das ununterbrochen, generieren Staaten nicht auf Biegen und Brechen Wachstum und schaffen ein wirtschaftsfreundliches, steuergünstiges bis steuervermeidendes System, derweil Wirtschaft immer heftiger und noch massiver mit der Abwanderung von Arbeitsplätzen droht, ständig noch mehr wachsende Flexibilität fordert.

Somit baut Wirtschaft einen massiven psychischen Druck auf die agierende Politik aus, Politik gibt, zum Beispiel über eine gewisse Agendapolitik, diesen Druck nach unten weiter, was sich irgendwann in Ängsten stabilisiert. Bist du nicht gut gebildet, hast du keine Chancen, wir alle kennen das, und in allen Familien wird in frühester Kindheit psychologische Gewalt ausgeübt, da heißt es dann nur noch, Spielen verboten, lernen, die erste Fremdsprache noch vor Schulbeginn, und in der Schule, da steigert sich dann dieser Druck bis ins Unendliche. Nur, über diese Art der Gewalt, darüber spricht kein Mensch, und doch ist das Gewalt, was da tagtäglich ausgeübt wird, nur, sie hinterlässt sichtbar keine Spuren, keine blauen Flecke, nichts, was von ihrer Schädlichkeit zeugt! Und doch ist sie überall und dauernd vorhanden.

Die Systemfrage gehört auf den Tisch!

Man spricht nur nicht darüber, denn welcher Staat will sich schon vorwerfen lassen, welcher Politiker will es sich vorhalten lassen, dass es eben da ist, das Problem, dass psychischer Druck mindestens so verheerend ist, wie körperliche Gewalt? Wir alle kennen das vom Thema Mobbing, und diese Gewalt löst Ähnliches aus, führt bei Kindern zu Unruhe, Depressionen, wird mit Medikamenten vertuscht. Diese Wahrheit spricht nur niemand laut aus, es stünde ja dann die Systemfrage im Raum! Kinder flüchten sich in Peer-Groups, erzählen daheim immer weniger, in Computerspiele eventuell, weil ihnen dort Erfolge möglich sind, die ihnen die Schule vorenthält, wie ihnen die Eltern, selbst bei Bestnoten immer nur das Nächte, Weiter so, so hat das zu sein, um den Kopf ballern. Weiter, auch wenn es besser gar nicht mehr geht, kaum ein Durchatmen und im Zweifelsfalle droht in den Ferien schon der nächste Sprachkurs im Ausland. Höher, weiter, schneller, besser, mehr, daran ist zuletzt ein Auszubildender einer Bank zerbrochen, hat sich umgebracht. Wer googlen kann ist klar im Vorteil.

Aber zurück zur spektakulären Flucht von Aicha

Inzwischen wird zu allen Artikeln heftig diskutiert, die sich mit dem Mädchen Aicha befassen, wie nach seiner Flucht von dort mit Aicha umzugehen sei. Wobei Flucht zu harmlos formuliert. Denn, als das Mädchen nicht mehr wusste, wo vorne und hinten ist, wie es aus seiner selbst verschuldeten Situation wieder herauskommen und in die Niederlande zurückkehren könnte, da rief es nach Mama, und Mama eilte voll verschleiert zu Hilfe. Gut so, lebensgefährlich zwar, nicht zur Nachahmung empfohlen, aber in diesem falle hat es geklappt, das Kind ist wieder daheim.

Kaum daheim droht allerdings eventuell Haft, und an dieser scheiden sich in den Foren die Geister.

Auf der einen Seite diskutiert jene Fraktion von „Verstehern“, die in Berlin eine Richterin am Rechtssystem verzweifeln lies, bis sie sich schließlich umbrachte, auf der anderen Seite stehen die, die nicht bereit sind, noch immer umfassendes Verständnis für jene Jugendlichen zu entwickeln, die der Polizei als bekannte Mehrfachstraftäter schon in jungen Jahren wieder und wieder ins Netz gehen, in schönen regelmäßigen Abständen, weil die Justiz ein zahnloser Tiger geworden ist. Jede Straftat schwerer, als die davor, und täglich grüßen solche jugendlichen Straftäter die Polizei und ihre neuen Opfer erneut. Das ist zum Beispiel in Berlin an der Tagesordnung, an dieser Wahrheit führt kein Weg vorbei. Punkt.

Die Opfer, ihre Angehörigen und auch große Teile der Bevölkerung sehen das als Problem, für andere Mitmenschen handelt sich es wieder und wieder um arme bedauernswerte verwirrte Geister, die einfach nur noch nicht auf der richtigen Jogamatte gelandet sind, weil sich, so die Argumentation das jugendliche Hirn erst mit an die 25 Jahren voll ausgebildet hat, inklusive der blitzartigen Erkenntnis, was eine Straftat ist, wobei sich diese Entwicklung auch gerne einmal +/- ein paar Jährchen hinauszögern kann, und dafür müssen Opfer, Angehörige, Polizei, Justiz und Bevölkerung doch unbedingt Verständnis haben. Das gibt sich schon, so ein Hirn braucht eben seine Zeit, dafür können die armen Kinder nicht, betreut sich endlich psychologisch richtig, aber bitte, bitte, nur nicht in die Strafvollzugsanstalt, das macht das Ganze nur noch schlimmer.

Diese Fraktion argumentiert so auch im Falle Aicha

So, und jetzt werfen wir unseren Blick einmal auf den NSU Prozess. Und ich werfe jetzt einmal ganz frech folgende Frage in den Raum: Ist die Hirnbildung und Erkenntnis bei der Angeklagten Zschäpe auch noch nicht vollendet? Die Dame ist fast 40 Jahre alt! Würden die Foristen, die keine Haft für Aiche fordern, auch so viel Verständnis für Frau Zschäpe aufbringen? Und ja, das ist vergleichbar, auch Zschäpe hat sich einer Terrororganisation angeschlossen. Auch hier wird vermutlich nie klar werden, welchen Anteil diese Angeklagte an den Verbrechen des NSU hatte, wieso sie so tief sinken konnte, wie das groß die Schuld des Elternhauses, der sie umgebenden Gesellschaft war, und so weiter und so weiter. Und wenn man die ISIS als jugendliche Sekte verharmlost, dann hilft solche Einstellung wohl niemandem weiter.

Erziehung ist in dieser Gesellschaft psychologisch ausgerichtet auf unendliches Wachstum und Erfolg, und geht diese Erziehung nach hinten los, erkennt der Nachwuchs, dass all seine Anstrengung vergeblich ist, weil alles, was er tut, nicht reicht, dann sucht er nach einem System, dass anderes verspricht, wo er sich selber entdecken, ausprobieren, finden kann. Dass dies derzeit in Auswüchsen wie einer Flucht aus dem psychischen täglichen Druck zu ISIS und früher eben in eine Terrororganisation, die wir im Ansatz bisher nicht kennen, das ist verständlich und doch unverzeihlich, denn es ist Schuld einer Gesellschaft, die das wirtschaftlich und politisch so gewollt hat, zumindest zugelassen hat, solange unten noch jemand vorhanden ist, auf den man zumindest verbal mit Worten wie Hartzer oder Minderleister eintreten kann. Doch inzwischen bedroht ein Abrutschen in solche Zustände, und in Folge dessen Niedriglohn, Minirente, so gut wie jeden.

Jugendgewalt, Jugendkriminalität.

Aufgebauter Überdruck muss irgendwann abgebaut werden, dafür braucht es Ventile, die einfach so gut wie nicht mehr zu finden sind, da helfen auch keine Sitzungen bei Psychologen, diese Sicherheit, die ein junger Mensch statt Druck braucht, die tritt erst dann ein, wenn ein halbwegs vernünftiger Ausbildungsplatz, ein zukunftsfähiger Arbeitsplatz in Sicht ist, das schafft zumindest solange Druckfreiheit, wie diese Situation anhält. Und schaut man an, wer sich prügelt, auf wen eintritt, wohin geht, dann stellen wir fest, es handeln so eben nicht die üblichen verdächtigen, es agieren dort Kinder, die mit dem auf ihnen lastenden Druck, der Angst, die in Erziehung und Schule aufgebaut wurden, der U-Bahntäter kommt aus stinknormalen Deutschen Familien, der, der sich ISIS anschließt inzwischen auch. Wobei die, die es ohnehin schwerer haben, weil ihnen zuzüglich ein Migrationshintergrund massiven psychologischen Druck aufbaut, noch in der Mehrheit derer sind, die aus diesem System ausbrechen.

Wie aber geht man mit solchen Jugendlichen um, geht man ständig erneut straffällig werdenden jungen Intensivstraftätern, mit jugendlichen Rückkehrern um?

Straffreiheit, psychologische Betreuung, das fordern die einen, die anderen fordern Knast. Beide Lager sind gespalten, und nur, wenn man aus jedem Lager beide Forderungen aufgreift, wenn man zuzüglich zu Knast, der psychologische Betreuung anbieten muss, nach der Entlassung einen zukunftsfähigen Arbeitsplatz anbieten kann, dann wird man etwas erreichen. Es müssen viele Räder ineinander greifen, doch dafür sind weder die personellen Ausstattungen, und schon gar nicht die finanziellen Mittel vorhanden.

Die Sache mit dem Fernseher und dem Kinderbuch

Jene Aiche, ihr war bereits in weiser Voraussicht der Reisepass entzogen worden, zumindest an diesem Punkt muss dem Kind klar gewesen sein, dass es bei einer Ausreise straffällig werden würde, dass das eine Maßnahme zu ihrem Schutz, ihrer Sicherheit gewesen ist. So knallhart sind einfach die Fakten. Dass gewisse Dinge auch zumindest verbal erklärt werden müssen, dass man Handeln erklärt, dass dies Zeit kostet, darüber hingegen scheint niemand nachzudenken, denn zeit ist Geld. Gebe ich einem Kind vor dem Essen keinen Schokoriegel, so erkläre ich, warum ich das nicht vorher, sondern ihn erst danach erlaube. Und jedes normale Kind wird verstehen, warum ich so und nicht anders handle, es wird vielleicht knurren, aber sich gleichzeitig auf den Riegel nach dem Essen freuen. Es bedarf aber einer verständlichen Begründung, Kommunikation ist das Zauberwort. Ich habe so etwas etwas anders, es ging um fernsehen, gerade erst gestern bei meinem eigenen Enkel mit Erfolg angewandt, ein 5 Jähriger erzog den Rest der Familie, der Fernseher blieb aus, sonst hätte man ein spannendes Buch nicht mit nach Hause nehmen dürfen. Geht doch …

Es muss aber wie gesagt, eine Erklärung und Aussicht auf Erfolg vorhanden sein, der dann auch eintritt, wenn man sich vernünftig verhält. Was also hätte Aicha gebraucht? Zum Reisepassentzug eine Ausbildung, woran hat es gefehlt? Danach fragt kein Mensch, niemand hört zu. Es wird Bastapolitik ohne Erklärung betrieben, Druck kann nicht abgebaut werden.

Den Schlüssel benutzen!

Egal, ich sage jetzt einfach: Dumm gelaufen und trotzdem Glück gehabt, aber Strafe muss sein, gute Strafe, die Sinn macht. Denn das Mädchen Aicha war alt genug, zu erkennen, dass eben eine jetzt erst recht Ausreise ihr verboten worden war. Und sie hat sich über ein Verbot hinweggesetzt. Zudem sollte ein Kind in diesem Alter wissen, was eine Terrororganisation ist. Wobei ja oft erzählt wird, man müsse gewisse Erfahrungen erst selber machen, bevor man klüger wird, weshalb Jugend ja eben oft erst später reumütig ankommt und sagt, ihr habt so recht gehabt. Nur Strafe muss eben hin und wieder auch sein, und dieser Fall zeigt deutlich, Politik und Gesellschaft müssen sich der Systemfrage stellen, ob sie tatsächlich weiterhin zusehen wollen, wie tätliche Gewalt durch psychische Gewalt ausgetauscht wird. Genau da liegt nämlich der Knackpunkt und Schlüssel zu Jugendgewalt und Jugendkriminalität, der Schlüssel auch zur Tendenz zu ISIS und NSU …

Der Schlüssel zu Jugendkriminalität, Jugendgewalt und ISIS liegt in unseren Händen und es gehört die Systemfrage gestellt. Wir züchtigen unsere Kinder heute anders, nämlich statt tätlich (und mit Ohrfeigen) psychisch

©denise-a. langner-urso