Chapeau! alte SPD!

Die SPD hat derzeit einen Lauf! Unter Sigmar Gabriel erfährt der alten SPD eine fast nicht mehr für möglich gehaltene Renaissance im Ansehen der BürgerInnen. Und das hat drei entscheidende, aktuelle, Gründe:

1. Joachim Gauck – der politische Schach-Matt-Zug

Als Joachim Gauck bereits 1999 von der CSU als Bundespräsidentenkandidat vorgeschlagen wurde, war das auch damals schon eine mehrheitlich als gut bezeichnete Wahl. Präsident wurde damals allerdings ein anderer, Johannes Rau von der SPD. Auch in den Folgejahren war Gauck stets erste Wahl, wenn es für die CDU/CSU und FDP um einen möglichen Kandidaten für das höchste deutsche Staatsamt ging.

Gabriel sagt über Gauck: “Dieser Mann hat ein Leben!” Wohl war. Geboren im braunen Deutschland, gelebt im roten Unrechts-Staat “DDR”, um dann einer der Mitgestalter eines freien und geeinten Deutschlands  zu werden. Nicht immer unumstritten war sein Kampf für die Wahrheit, aber immer von seinem Urgedanken der Freiheit des Menschen getragen. Den Kampf gegen die hässliche und unmenschliche Krake “Stasi” hat niemand so aufrichtig, ehrlich und konsequent vertreten wie er. Nicht nur dafür verdient dieser Mann Respekt. Ein Mann der bürgerlichen Parteien ist er immer gewesen. Sein politisches Bild ist geprägt von liberalen, konservativen, aber auch gesellschaftskritischen, ja sozialdemokratischen Gedanken und Verständnis.

Das ein Horst Köhler von seinem Amt des Bundespräsidenten zurücktrat, kam für die bürgerliche Koalition in Berlin wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel.  Für diese desolate und zerstrittene Koalition gab es nur ein Ziel: schnellstens eine/n Nachfolger-In suchen. Auf dieser Suche wurde eine im Volk relativ beliebte Ministerin mal eben schnell verschlissen um sich dann auf den “jungen Politiker” Christian Wulff, als den “wirklich besten Kandidaten” zu verständigen. Wulff nahm auch ohne Zögern, und “voller Demut vor dem zukünftigen Amt”, diese Kandidatur an. Die Welt schien für Merkel und Westerwelle wieder in Ordnung und man konnte sich offensichtlich an das lange geplante “Eingemachte” heranwagen: Die Krise und die kommende Krise, die durch die angedachten  Sparbeschlüsse der Regierung, nun vom Volk aus ausgehen wird.

Da mittendrin präsentierten SPD und GRÜNE ihren Kandidaten: Joachim Gauck! Ein genialer Schachzug. In der Tennissprache wäre das ein Ass!

Der Zuspruch aus der Bevölkerung, aus dem Großteil der Bundespresse, und sogar aus Teilen der Regierungsparteien, wird von Tag zu Tag größer. Lawinenartig finden sich in den Social-Networks wie u.a. Facebook, tausende Unterstützer für diesen Personalvorschlag. Über Nacht wurde Gauck zum Politistar wider Willen und zum Synonym vieler Menschen, die den Parteiklüngel satt sind. Sie wollen keinen koalitionsgemachten Präsidenten. Wenn schon Präsident, dann Gauck, lautet immer mehr die Devise. Und wenn nicht Gauck, fragen sich wieder viele, wozu denn dann überhaupt dieses Amt? Auch werden die Rufe nach einer Direktwahl des Bundespräsidenten immer lauter, ungeachtet der derzeit rechtlichen Lage zu diesem Thema. (Welche durchaus mit einer 2/3-Mehrheit im Bundestag änderbar wäre!).

Die Wahl zum Bundespräsidenten, und die Wochen davor, am 30.Juni, werden spannend. Eines ist in jedem Fall klar: Merkel und Westerwelle sind die großen Verlierer dieser Wahl, gleich wie sie ausgeht. Ein Wulff kann derzeit zwar noch mit einer Stimmenmehrheit in der Bundesversammlung rechnen, im Volk allerdings ist er weit abgeschlagen und somit bereits jetzt schon politisch angeschlagen. So wie seine Parteifreundin Ursula von der Leyen.

2. Die linke Selbstzerfleischung

Ein Schachzug war die Nominierung Gaucks auch in jeder Hinsicht, was das Verhältnis SPD zur Linkspartei angeht. “Wir können ihn (Gauck) nicht wählen. Er ist kein Versöhner, er war ein Spalter..” dieses und ähnlichen Nonsens erklären die zuständigen Kommentatoren der Linkspartei.

Ein Lafontaine, Gestern Abend bei Anne Will, (wieso Lafontaine und nicht jemand aus der aktuellen Parteiführung?) schwafelte circa 20 Sätze um den heissen Brei herum um dann, kaum nachvollziehbar, zu erklären: “Dann  soll er auch gegen Bespitzelungen in der heutigen Zeit sein, wenn er schon die STASI anprangert”. Lafontaine bezog sich auf Bespitzelungen von Arbeitgebern an ihren Mitarbeitern. Sicher zu kritisieren, aber im Zusammenhang mit einem Joachim Gauck ein weiterer Unsinn. Die Wahrheit ist: viele in der Linkspartei haben STASI-Kontakte gehabt oder waren führende STASI-Leute, also Spitzel des eigenen Volkes, und wurden von Joachim Gaucks einstiger Behörde auch als solche geahndet und enttarnt. Das tut weh, auch heute noch.

Die Linke im Abseits. Nicht erst seit den geplatzten Sondierungsgesprächen in Düsseldorf mit der SPD und den Grünen. Schon damals führte sie die SPD, und auch die Grünen, als eine rückwärts gerichtete, in weiten Teilen DDR-und-STASI- verklärenden Partei, der deutschen Öffentlichkeit vor. Dies gelingt der SPD gerade wieder. Aber diesmal auf Bundesebene. Die Linkspartei ist gefangen in ihren Ideologien und ringt verzweifelt nach plausiblen Erklärungen, warum ein Gauck nicht wählbar erscheint. Nun sucht man nach einem oder einer geeigneten Gegenkandidat-inaus dem linken Spektrum. Sicher wird man dort fündig und sicher möchte so ein Kandidat, oder eine Kandidatin, mal Star für einen Tag sein.

Politisch aber hat die Linkspartei mal wieder verloren. Der Schaden wird immer größer, solange diese Partei sich nicht ihrer eigenen Geschichte annimmt, sie entweder aufarbeitet oder aber zur alten kommunistischen Geschichte offensiv und als Zukunftsmodell steht. Das Kalkül der SPD ging auf!

3. Die Krise!

Sicher nicht unbeteiligt am Ausmass und am Entstehen der Wirtschaftskrise, ist die SPD nun aber als größte Oppositionspartei in der glücklichen Lage, die Koalition vor sicher her zu treiben. Schon melden heute die Agenturen, das die SPD zusammen mit Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden eine einheitliche Front gegen die geplanten Sozialkürzungen bilden werden. Nicht nur der “kleine Mann” soll zahlen, denn “er” war es nicht, der über seine Verhältnisse gelebt hat. Richtig! Das waren andere. Und ebenso richtig ist es, das die alte SPD wieder back to the roots findet und sich der gewerkschaftlichen Idee glaubhaft zuwendet.

Seit der Schröder-Ära war das Verhältnis zum DGB und seinen Gewerkschaften oftmals sehr getrübt. Die HARTZ-4-Gesetze haben die SPD bis heute mitgliedermässig  stark ausbluten lassen. Die Kehrtwende in dieser verfehlten Politik ist längst überfällig und könnte mit den Sparbeschlüssen der Koalition erfolgen. Und das auch glaubhaft! Es setzt aber eine einheitliche Marsch- und Sprachrichtung der SPD-GenossenInnen voraus. Verlorenes Terrain zurück zu gewinnen, scheint möglich, da eine Linkspartei immer mehr mit sich, ihrer Herkunft und Aussenpolitik, und weniger mit Sozialpolitik, beschäftigt ist.

Die Wirtschaftskrise bietet der SPD die, vermutlich einmalige, Chance sich wieder als eine wählbare linke Volkspartei zu empfehlen. Dies setzt aber zwingend die Einsicht in selbstgemachte Fehler und deren Verbesserung, als auch nachvollziehbare Visionen von gerechter Politik voraus. Beides dürfte machbar sein. Auch in Hinsicht auf das, was die Koalition uns BürgerInnen an Sparbeschlüssen angedeihen lassen will. Die SPD muss den Bezug zu den Millionen Beziehern von HARTZ-4 auf eine andere, sozialere Basis stellen. Hieran wird sie auch gemessen werden!

Die SPD hatte gute Tage. Das ist unbestritten. Das was dauerhaftes daraus wird, muss für diese alte sozialdemokratische Partei Ansporn genug sein, jetzt so weiter zu machen und aus den aktuellen Punktsiegen den Abwärtstrend dieser Partei zu stoppen. Bestenfalls hin zu einem Aufwärtstrend. Vielleicht hilft es ja den GenossenInnen der SPD-Spitze zusammen mit ihrer starken, oft gescholtenen, Basis an die Worte ihrer Parteihymne zu denken, wenn sie handeln und agieren:

Wenn wir schreiten Seit’ an Seit’
und die alten Lieder singen
und die Wälder widerklingen,
fühlen wir, es muss gelingen:
Mit uns zieht die neue Zeit!

C/O Detlef Obens, Kommentar 2010