Anne Will, Putin – Rechtsstaat mit Löffeln gefressen

 

Es lebe das Vorurteil, es lebe der Populismus, so kann man Anne Wills gestrige Sendung auch umschreiben.

Talkrunden werden auch immer durchschaubarer, denn dort darf alleine an einem einzigen Faden und an einem Bösewicht sich abgearbeitet werden. Ein Maulkorb, den man den Teilnehmern quasi vorab verpasst, andere Richtungen unerwünscht, wobei ich mich frage, warum lässt man sich dazu überhaupt noch einladen, denn bei so gescripteter Talkrunde, die keinen Millimeter vom Drehbuch abweichen darf, stehen die Rollen fest, sind zugewiesen, Abweichungen werden nicht zugelassen, um die Ecke und weiter darf nicht gedacht werden. Gestern wurde das besonders deutlich, als es um das Thema „Mord an Boris Nemzow – Wie gefährlich ist Opposition gegen Putin?“ ging.

Und schnell zeigte sich, wo der Knackpunkt war und ist, das westliche Rechtssystem ist unantastbar, edel, überlegen, einfach nur gut.Daran besteht kein Zweifel, und ich habe mir ständig gedacht, wann schlägt denn in dieser Runde bitte einmal jemand kräftig auf den Tisch, was nicht geschah, selbst von Dietmar Bartsch nicht, zu groß die Gefahr als Putinfreund, als welchen ihn die FAZ trotz seiner nichtssagenden Aussagen heute darstellt, in die Anti-Amerika oder Anti-Westecke geschoben zu werden. Und warum er trotzdem als Putinverteidiger dasteht, das weiß vermutlich auch nur die FAZ, denn dazu reicht es heute schon zu sagen: Bitte nicht vorschnell urteilen, warten wir doch erst einmal ab.

Ein Fokus Journalist echauffierte sich, er sei bereits öfter von russischer Polizei verprügelt worden, niemand habe geholfen, was Journalisten hier in Deutschland natürlich noch nie passiert ist.

Putin habe gewisse Plakate nicht verboten, wobei vergessen wird, hätte er so gehandelt, hätte der gute Westen lauthals über Verbot von Plakatierung und Pressefreiheit debattiert, und man kann es derzeit drehen und wenden wie man will, Putin hat sich selber in eine Scheiß-Ausgangslage manövriert. Und natürlich gibt es Übergriffe auf Journalisten, Morde, die ungeklärt bleiben, Übergriffe. Niemand redet das schön.

Und auch bei uns sind übrigens in letzter Zeit gewisse Demonstrationen, gar Faschingsumzüge, verboten worden, wobei manche Entscheidung nicht so ganz nachvollziehbar war, und was demnächst zwischen Frankfurt und Occupy abgehen könnte, hier sei an Kessel erinnert, das ist rechtststaatlich auch eher fragwürdig.

Das Rechtssystem des Westen ist der unantastbar gute heilige Gral

Das Rechtssystem ist nicht so, wie wir es gerne hätten, doch sollte man sich zuerst immer an die eigene Nase fassen. Die USA liefern gewissen Gerichten ihre Straftäter auch nicht aus, unterhalten Guantanamo und die EU schiebt Häftlinge über die Ukraine ab, wo sie ebenfalls rechtlos im Knast landen, statt rechtsstaatlich behandelt zu werden. Und kommt man auf den Umgang des Westens mit Personen wie Manning oder Snowden, und speziell auf Diplomaten-Flugzeuge, die zwangsweise zwischenlanden müssen, dann steht der Westen ziemlich bedeppert da. Mit Recht und geltenden Gesetzen hat all das auch nicht gerade viel zu tun.

Bitte, wer also mit dem Finger auf andere zeigt, der sollte bedenken, ein paar Finger zeigen auch immer auf einen selber zurück, und vorab jemandem zu unterstellen, er habe absolut kein Interesse an Aufklärung, das ist schon sehr populistisch und erinnert mehr an Pegida und Lügenpresse, denn an diplomatisches Geschick und daran, wie Politiker eigentlich argumentieren sollten, mit Zurückhaltung nämlich. Denn Putin nützt dieser kalte Mord irgendwie derzeit am wenigsten im Verhältnis zur EU, bei den Verhandlungen mit und um die Ukraine. Und irgendwie halte ich Putin nicht für so dämlich, sich selber noch zuzüglich massiv zu schaden. Ich habe da derzeit einfach Zweifel, weil es so klar und deutlich ausschaut, so offensichtlich ist, dass ich denke, man sollte tatsächlich etwas vorsichtiger mit schnellen Vorurteilen sein, denn wenn da tatsächlich der Täter gefunden wird und eben all das nicht mit Putin zu tun haben sollte, wie stünden wir dann wohl da, mit unserer Besserwisserei? Kann man nicht wirklich erst einmal etwas abwarten und dann urteilen?

Wozu nachfragen, wenn das Urteil bereits gefällt wurde?

Zuletzt war die Diskussion aber bei weitem nicht breit genug angesetzt, sollte auf Putin als absolutem Gewaltherrscher und Despoten hin sich zuspitzen, doch man hätte viel lieber allgemeiner fragen können, wem nutzt der kaltblütige Mord an Boris Nemzow, und erst an dieser Stelle wäre es richtig interessant geworden, denn er nützt natürlich auch den USA, denen derzeit überhaupt nicht an einem guten politischen Verstehen und an wirtschaftlicher Zusammenarbeit der EU mit Putin, schon gar nicht an einem euroasiatischen Handelsabkommen, gelegen ist.

Hinzu kommt aber auch ein Faktor, und der sitzt in Irak und Syrien und breitet sich wie ein Krebsgeschwür aus, der islamistische Staat, IS. Die USA, Europa und Russland vereint, und der IS hätte wesentlich schlechtere Karten als jetzt. Auch aus dieser Richtung also besteht natürlich massives Interesse daran, dass diese drei Akteure sich miteinander prügeln, statt gemeinsam gegen den IS zuzuschlagen.

Und noch ein Ratschlag, wenn man so durchsichtig gescriptet und nach Drehbuch diskutieren will, dann ladet neben den gestrigen Diskutanten statt Bartsch Steinbach und statt Tultschinski Seehofer oder Scheuer von der Union ein, dann herrscht die Einigkeit, die man sich im Ersten so sehr wünscht, dann hätte man am Ende sicher Putin als eigenhändigen Killer festnageln können, dann hätte das Resultat wie gewünscht gelautet: „Putin war der Auftraggeber – Aktenzeichen XY … gelöst.

©denise-a. langner-urso