Brexit und der „gespielte“ Schock danach

Tag 2 nach dem Brexit: und man fragt sich, ob nicht viel von der Empörung, die gestern gezeigt wurde, nicht gespielt war, wir werden es vermutlich nie wissen, doch eins ist klar, der deutsche Finanzminister wird für einen Augenblick aus seinem Rollstuhl gesprungen sein und getanzt haben, denn wann ist es jemals zuvor passiert, dass eine Wählerschaft ihre eigenen Politiker dermaßen abstraft, dass man dadurch die eigene Wirtschaft freiwillig einem anderen Staat schenkt? Und das in Friedenszeiten, freiwillig dazu auf ganze Landesteile verzichtet? Dass von denen, die jetzt um ihre verlorene Zukunft jammern, 75% daheim blieben, weil sie sich am Tag der Wahl um ihren Egoismus kümmern mussten, ja, das schockiert. Und natürlich das Resultat, dass dadurch ganze Landesteile regelrecht verschenkt wurden, samt komplettem einzigem Wirtschaftszweig, von dem man lebt. Dass das selbst alte Polithasen in aller Welt in Schockstarre versetzt, das wundert nicht. Aber so ist das eben, wenn man eine 24 Stunden gepamperte Jugend, die nie im Dreck spielen und unbeobachtet sich verletzten und auch mal sich eindrecken durfte, nach ohnehin zu langer Zeit im heimischen Nest, dass man mit Anwälten umstellt, plötzlich auf die Menschheit loslässt, Rotzblasen heulend, weil das arme Kind jetzt abends kein Betthupferl von Mutti mehr bekommen kann. Die mit der zu leichten statt zu schweren Jugend …

Dass Wähler dermaßen uninteressiert und uninformiert an einer Wahl teilnehmen, und dass die, die von dieser am meisten betroffen sind, nämlich die eigene dauer-online surfende Jugend, die eigentlich informiert sein müsste, am Folgetag heulend über die Alten schimpft, die angeblich ihr die Zukunft abgewählt haben, weil man selber am entscheidenden Tag lieber bequem auf dem Sofa chillte, statt den Hintern an eine Wahlurne zu schleifen? Wenn irgendetwas dekadent und wohlstandsverwöhnt ist, dann das Gejammere am nächsten Tag, weil Bequemlichkeit über politischer Teilnahme stand. Ja, das schockiert tatsächlich, zumal wenn es da passiert, wo man es nicht erwartet.

Die erste Generation von Helikopterkindern hat ihre Zukunft selber verzockt, niemand sonst, schon gar nicht die ungeliebten Alten, die sie geboren haben. Wenn man ihnen etwas vorwerfen kann dann das: nicht für ausreichend Bildung gesorgt zu haben, zur Unfähigkeit erzogen zu haben, so dass Konsequenzen von Handlung oder Unterlassen nicht mehr erfahren werden konnten. Das schockiert tatsächlich. Es geht uns ja gut, und wenn nicht, dann werden es die Eltern schon richten, uns auffangen, wir habens ja. Aus Bequemlichkeit zu 75% nicht zur Wahl gehen, auch das hat Konsequenzen, ist bisher aber immer noch gut gegangen. Und irgendwann passiert dann eben sowas, wenn man wegen zu viel Helikoptertum nicht aus Versuch und Irrtum in der Jugend lernen durfte, dass man dem einstigen Erzfeind Deutschland das Pfund, mit dem die Elterngeneration wuchern konnte, nämlich den Finanzplatz London, per Nichtwahl schenkt.

Das ist mehr als tragisch und komisch zugleich, und ich komme an Tag zwei aus dem Lolln und Rofln nicht heraus, jenen Begriffen, die man kennen sollte, wenn man eine gute Bildung genossen hat, zur der eben auch politische Bildung und Grundlagen wirtschaftlichen Handelns gehören sollte. Und wo Deutschland zu wenig hat, nämlich an digitaler Bildung, darauf legt man anderweitig offensichtlich zu viel Wert, derweil man alles andere vergisst, was mündige Wähler ausmacht.

Diesmal nämlich ging die Bequemlichkeit in die Hose, denn es mag ja geil sein, ständig über das auf dem Laufenden zu sein, was einem an Dingen ins Haus geliefert werden kann, von Lebensmitteln bis Mode, vom Tipp, wo der coolste Club ist, bis zur billigsten Kurzreise. Es mag ja hipp sein, mit dem Kopf nach unten durch Straßen zu rennen, weil man ständig chequen muss, was angebliche Freunde treiben, die Realität aber sieht man auf dem Display nicht, und die besorgte Elterngeneration sorgt schon dafür, dass man eigene Handyspuren bekommt, ja, das mag irre genial sein, doch bringt all das eben längst noch keine wirkliche Bildung mit sich, über wirtschaftliche, politische und historische Zusammenhänge schon gar nicht, und dann rennt man eben irgendwann versehentlich gegen eine unsichtbare Unwissenheitswand die direkt vor der Haustür lauert, dann geht man nicht zur Wahl, weil man sich auf andere zu sehr verlässt, in diesem Falle auf jene Eltern, die Grundlagenwissen nicht vermittelten, und die sich darauf verließen, dass ihre Kids erfahren genug wären, dass sie fehlende Bildung notfalls per Handyapp kaufen könnten. Handy in die Hand, always online, ein bisschen Vitamin B und alles wird gut.

Und ja, eigentlich gebietet es der Anstand, dass unsere Kanzlerin umgehend zur Königin nach Noch-Gr0ßbritannien reist und sich bedankt, denn so ein Geschenk bekommt man als Ex-Erzfeind eher selten. Es lebe die jugendliche Dummheit und Faulheit. Und was lernen wir daraus? Nichts ist wertvoller als ein gutes Bildungssystem und Eltern, die ihre Kinder so erziehen, dass sie früh aus Versuch und Irrtum lernen, dass sie sich engagieren, und Fehler machen dürfen. Investieren wir entsprechend in bessere Bildung als derzeit, und bauen wir rechtzeitig genug Wohnungen in Frankfurt, die Steuergelder werden wir x-fach zurückerhalten!

Sorry, aber ich kann einfach an Tag zwei nicht anders, was da passiert ist, ist der Hammer des Jahrtausends und neben all der Tragik unendlich komisch …

©denise-a. langner-urso