Der Mensch Frank-Walter Steinmeier

Als Frank-Walter Steinmeier (SPD) gestern ohne Angabe über ein Thema zu einer Pressekonferenz einlud, waren sich manche Berichterstatter im Vorfeld sicher: Hier gibts den nächsten Rücktritt! Diesmal des Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag! Aber es kam anders.

Sichtlich emotional berührt nannte Steinmeier seinen Grund für eine nun beginnende mehrwöchige Auszeit aus einem sehr privaten Grunde. Er spendet seiner Frau Elke Büdenbender, die schwer an einer Niereninsuffiziens leidet und daher ein neues Organ dringend benötigt, eine eigene Niere. Ein gänzlich unpolitisches Thema wird zum Paukenschlag in Berlin und in den heutigen Medien. Das Thema Organspende dominiert den Blätterwald.

Nicht nur aus den eigenen Reihen, auch von seiten der anderen Bundestagsfraktionen, schlägt Steinmeier größte Anerkennung und Sympathie entgegen. Aus Frank-Walter Steinmeier, dem mächtigen SPD-Fraktionsvorsitzenden, wurde auf einmal “nur” ein liebender Mann, der seiner Frau in einer schweren Zeit zur Seite steht und ihr hilft. Aber wie passt das in unser Weltbild, welches wir von Politikern haben? Es passt, und es passt sogar sehr gut.

Viel zu oft wird der Mensch hinter seiner politischen Funktion nicht mehr wahrgenommen. Zeigt dieser Mensch mal menschliche Schwächen ist er scheinbar im Haifischbecken Berlin dem Untergang geweiht. Vermutlich war das mal so. Aber die Reaktionen auf Steinmeiers persönliches Statement zeigen, das dem nicht mehr so ist. Und das ist gut so. Im Bundestag sitzen keine Politmaschinen, die auf Knopfdruck so oder so reagieren, handeln oder nicht handeln. Dort sitzen Menschen, die trotz aller scheinbaren Macht, immer noch ihre menschlichen und körperlichen Grenzen behalten haben. Viel zu oft wird das vergessen. Und immer dann, wenn uns solche Nachrichten erreichen, wird uns das klarer. Dann entsteht ein Innehalten und Nachdenken.

Als Franz Müntefering seinen Rückzug von der Politik bekanntgab, um für seine sterbenskranke Frau da zu sein, war es ebenfalls ein solcher Moment. Oder auch die Attentate auf Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble. Aber diese Momente verfliegen wieder und der politische Alltag kehrt oftmals viel zu schnell zurück. Dann geht das Knüppeln und Keulen, oftmals auch unter die Gürtellinie, weiter. Und dann wird wieder schnell vergessen, das hinter jedem/jeder PolitikerIn, 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche, ein Mensch mit all seinen Schwächen, Stärken, Gefühlen und Ängsten steht. Und manche von der politischen Gegnerschaft, aber auch von den so genannten politischen Freunden, nutzen diese menschlichen Schwächen nur zu gern für ihren scheinbaren politischen Vorteil.

Viele Menschen haben die Nase voll vom Umgang der Parteien untereinander. Sie sind es müde, die täglichen Verbalattacken erleben zu müssen, quasi dem öffentlichen Mobbing via TV beizuwohnen. Die Parteien und ihre Politiker sollen um die Sache streiten, das ist gut und richtig. Aber sie sollen mit dem Streit aufhören, wenn es der Sache nicht mehr dient und nur ihrem Gegenüber schadet.

Frank-Walter Steinmeier wird diese Woche seine Niere seiner Frau spenden. Er wird sich danach gut erholen und seine Frau wird weiterleben. Eigentlich für mich DIE Nachricht der Woche in der Politik. Und mal wieder ein Zeitpunkt über den Umgang in der Gesellschaft insgesamt ein wenig nachzudenken. Es wäre ein gutes Stück politischer gewonnener Kultur.

Detlef Obens 2010