Fleisch

Der Ratskeller am Römer ist bekannt wegen seiner gehobenen, urigen Hausmannskost.

Kein Gourmet-Tempel, Gott bewahre! Nein. – absolut ehrliches, gesundes Fresschen kommt da auf den Teller. Keine auf übergroßen Platten, sehr sparsam-übersichtlich garnierte, womöglich noch Molekularküchen-Koch -Artistik. Nur Gutes von Muttern, was schmeckt und satt macht.

Da findet man durchaus noch Saure Nieren, Rinderzunge in Rotwein, die knusprig glänzende Haxe, aber auch das Schnitzel, nicht „Wiener Art“ sondern das echte Wiener, aus der Kalbshüfte geschnittene, in frischem Ei panierte in viel Butterschmalz gebackene Stück.

Der distinguiert, asketisch wirkende Herr in grauem Flanell, nimmt an dem letzten noch freien Sessel an dem Tisch Platz, wo bereits ein wohlbeleibter Gast, mit einem funkelnden Glas Rotwein auf sein bestelltes Essen wartet, nicht ohne vorher höflichst um Erlaubnis gebeten zu haben. Man grüßt und dankt.

Der leutselige Ober kommt mit einer gut beladenen Platte, wo eine, der dem Hause gerühmten Haxen auf einem Berg duftenden Weinkrauts thront, umringt vor Semmelknödeln und stellt sie dem wartendem Rotweinkenner vor die Nase, der erwartungsvoll seine Serviette in den Hemdkragen stopft und dem Ober dankend zunickt. Der wünscht gesegneten Appetit und wendet sich dem neuen, ihm bislang unbekannten Gast am Tisch zu.

„Der Herr wünscht.“ Bekannte Stammgäste fragte er nie so, sondern lässt da eine freundliche Frage von den Lippen, was er wohl Leckeres bringen dürfe. Der Asket hatte nicht in der Karte gewählt sondern ordert aus dem Stegreif in leichtem Salzwasser knackig blanchiertes Gemüse, ohne Soße mit etwas Reis und ein kleines Mineralwasser, nicht zu kalt. Er war schließlich keiner von jenen, die Muskelaufbau mit Nahrungsergänzungsmittel unterstützen wie andere Mitmenschen das mit totem Fleisch tun.

Während sich der schon viel Absonderliches gewohnte Ober, mit einem „sehr wohl der Herr“ dankend verneigt, lässt der, bereits mit Messer und Gabel bewaffnete, zum tranchieren der mächtigen Keule bereite Gegenüber, mit offenem Mund staunend, seine kampfbereiten Werkzeuge sinken und stiert seinen Nachbar als ausgewiesenen Gegner an. Er langt nach seinen Pokal und muss erst einmal einen tiefen Zug tun, bevor er den Essfeind scharf fixiert und ihn verächtlich wissen lässt, dass dies noch niemand seines Wissens in diesem Hause bestellt habe und erkundigt sich, ob wohl ein tödlich-schweres Magenleiden die Ursache für die kasteiende Bestellung die Ursache sein.

Dies verneint der Asket und lässt wissen, dass er sich gesund ernähre und sich nicht mit solch totem Getier, wie auf dem Sauerkrauthügel, vergiften würde. Er sei überzeugter Veganer und bedaure sehr, dass es Menschen gäbe, die vor dem Leben der Tiere keine Achtung hätten.

Das war dem Herrn mit dem stolz erschlemmten Bauch denn doch zu viel. Am Tisch nebenan war ein Platz bei einem Gast seiner Essgewohnheiten frei geworden und er übersiedelt mit Haxe und Wein.

Anerkennend lobt er dessen Platte, reichlich bestückt mit viel herrlichem Tafelspitz, in Butter geschwenkten Kartöffelchen und der delikaten, traditionsreichen Frankfurter grünen Soße.
©h.boxxan