Gaucks letzte und wichtigste Rede – eine bemerkenswerte Mahnung

 

Nicht nur an uns sondern auch an all jene, die bisher zu uns kamen und noch kommen werden, und man muss schon sehr genau lesen, wieder und wieder, um zu verstehen, warum diese Rede die vielleicht wichtigste in seiner Amtszeit war. Beziehen möchte ich mich besonders auf diesen Abschnitt, den ich im Folgenden zitiere und natürlich ordentlich auf das Gesamtwerk verlinke, denn die bedeutensten Teile bezogen sich auf das Grundgesetz und unserem Umgang mit diesem in Zeiten gewaltiger Umbrüche und Zuwanderung und damit die verbundene Warnung, zu schützen, was schützenswert ist, was mühevoll erarbeitet wurde. Und dazu liest man am besten die gesamte Rede, denn Ansätze finden sich in mehr als nur dem hier zitierten Teil der Rede:

Meine Damen und Herren,
die Mütter und Väter unserer Verfassung wollten nicht nur eine wehrhafte und eine streitbare Demokratie, sie wollten auch eine wertebasierte Demokratie. Sie setzten sich Frieden und Gerechtigkeit zum Ziel und stellten den Schutz der Menschenwürde unter eine Ewigkeitsklausel, die jede Veränderung ausschließt. So haben wir nun beides: eine unverbrüchliche, geschützte Grundlage für unsere Demokratie und einen offenen Raum, in dem Pluralität leben soll. Dieses dialektische Miteinander von Bindung und Freiheit hat im Laufe der Jahrzehnte noch an Bedeutung gewonnen. Denn die Gesellschaft ist sehr viel heterogener geworden – politisch, kulturell, religiös, ethnisch und auch in Hinsicht auf die Anerkennung sexueller Orientierung.
Im jungen Einwanderungsland Deutschland ist dieses Wechselspiel von Bindung und Freiheit immer noch und immer wieder eine Herausforderung. So sind Einheimische und Eingewanderte einerseits verpflichtet, in gleicher Weise die Verfassung und die Gesetze zu achten. Andererseits ist es Einheimischen und Eingewanderten überlassen, nach eigenen kulturellen oder religiösen Überzeugungen zu leben – so, wie sie es individuell für richtig halten und solange sie nicht die Freiheit des Anderen einschränken.
Für ein gedeihliches Zusammenleben ist aber die Bereitschaft zur Offenheit erforderlich: von den Einen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, von den Anderen gegenüber den Minderheiten. Die Einen müssen Teilhabe wollen, die Anderen Teilhabe ermöglichen. Was keinen Platz hat in diesem Miteinander, das sind Verunglimpfung, Hetze, Ausgrenzung, Hass, und erst recht keine Gewalt gegenüber den Eingewanderten. Andererseits darf die Angst vor dem Vorwurf des Rassismus nicht dazu führen, dass wir Intoleranz und Normenverletzungen unter Einwanderern verschweigen oder die Diskussion darüber unterlassen, welches Islamverständnis zu einer säkularen, demokratischen Gesellschaft passt.
Lassen Sie es mich so sagen: Die entscheidende Trennlinie in unserer Demokratie verläuft nicht zwischen Alteingesessenen und Neubürgern, auch nicht zwischen Christen, Muslimen, Juden oder Atheisten. Die entscheidende Trennlinie verläuft zwischen Demokraten und Nicht-Demokraten. Es zählt nicht die Herkunft, sondern die Haltung. Gerade unter den Einwanderern finden sich viele, die unser Land hoch zu schätzen wissen, weil sie hier zu Wohlstand gekommen sind und hier in Frieden, Freiheit und Rechtssicherheit leben können, fern ihrer Heimat und doch am Ziel so mancher Sehnsucht.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wer die Demokratie liebt, wird sie schützen, nicht allein gegen die Feinde der offenen Gesellschaft im Inneren.

Gauck führt in seiner vielleicht wichtigsten Rede an, warum man stolz sein kann auf dieses Land, welches eine so hervorragende Verfassung sein Eigen nennt. Genau darauf nämlich, denn dieses Grundgesetz macht unser Land aus, darauf, dass das Grundgesetz gilt, in seinen Grundfesten nicht verändert wird, auch für Minderheiten nicht, obwohl andere Gesetze ihnen die selben Freiheiten einräumen wie jedem einzelnen Individuum und jeder größeren Gruppe, darauf verlassen sich Menschen. Vor Feinden unserer Werte und unseres Grundgesetzes jedoch, davor, nicht vor Menschen, gehört es sich, uns und das Grundgesetz zu schützen, vor den Gegnern unserer Werte aus dem Inneren selbst wie von außen.

Was den hier aufgewachsenen und geborenen, oft nach hier geflüchteten Menschen nicht gefällt, ist jedoch eine Änderung, die sich derart äußert, dass durch diese Änderungen die Minderheit der hier eingesessenen Mehrheitsgesellschaft ihre Gesetze versucht zu ändern oder zu diktieren.

Und deshalb war die Rede so bedeutsam, denn hin und wieder wird genau das versucht, ein Beispiel ist da vielleicht die Klage gegen Teilnahme am allgemeingültigen und gesetzlich geregelten Schwimmunterricht an Schulen. Dann lehnt man nämlich die hier geltenden Gesetze der Mehrheit ab und beweist, dass man sich der Gesellschaft näher fühlt, aus der man ja eigentlich entkommen wollte, dass man die Entscheidung der eigenen Eltern nach hier zu kommen, in Frage stellt. Oder sind die Gründe hier leben zu wollen, obwohl man das Gesellschaftskonzept zutiefst verachtet, einfach nur wirtschaftlicher Art?

Nun, für reine Wirtschaftsflüchtlinge oder Nachfahren von Eltern, die ein besseres Leben für ihre Kinder wollten und fanden, sind unsere Aufnahmegesetze nicht gedacht, auch nicht für Menschen, die einfach nur anderswo ihre Lebensweise gelebt wissen wollen, sondern für Menschen, die tatsächlich frei von Zwängen und mit der Wahlfreiheit von Religion und Kultur leben möchten, die die Nase voll haben, sich unterdrücken zu lassen. Und ja, dann bietet auch ein Doppelpass stets die Möglichkeit diese offenbare Zumutung von Gesellschaft erneut zu verlassen. Niemand ist gezwungen, hier mit Suff und Hurerei oder einer Mode, mit der er rein gar nichts anfangen kann, mit fröhlichen Feiern und gemeinsamen Festen, leben zu müssen, bisweilen vollgekifft, vollgeraucht, im Minirock, Bikini oder in Jeans, als Mann oder Frau oder mit anderem bis zu gewechseltem Geschlecht, auch hin und wieder unter jedwedem Bruch mit allen religiösen Regeln, wenn es um Familie, Ehe und Kinder geht.

All das lässt unser Grundgesetz zu, all das schützt es, und darauf kann man tatsächlich stolz sein. Was es nicht schützt, ist die Zerstörung unserer gelebten Vielfalt und der damit unverbrüchlich verbundenen würdevollen Behandlung andersdenkender Menschen.

Und so geht es den meisten Zuwanderern heute ja auch, sie wollen, dass ihnen die Wahlfreiheit erhalten bleibt, und nicht dass nun von außerhalb sogar Kräfte versuchen, sie hier auszuspionieren, zu denunzieren, zu verunglimpfen, um ihnen über eine sich radikal anders orientierende Gemeinschaft neue Regeln aufzudrücken, gefundene Freiheit erneut zu nehmen, wie es ein gewisser angehender Diktator vom Bosporus derzeit über Zugriff auf deren Communities und sich darüber radikalisierende Ex-Bürger der Türkei versucht, die solchen Einfluss nehmen wollen oder bereits haben, dass normale Mitmenschen sich fürchten müssen, wenn sie im Urlaub ihre Lieben im Ursprungsland besuchen wollen oder um die dort zurückgebliebenen Verwandten fürchten müssen.

Dieses Land bietet die Wahlfreiheit zu wandern, sich zu wandeln, zu ziehen wohin es einem gefällt, auch zurück. Und all das ist gut, was es nicht billigen darf ist die Zerstörung dieser Freiheit sich frei entscheiden zu dürfen in jeder Generation, und die, die den Vorteil eines Doppelpasses haben, denen fällt es dadurch nochmals leichter da zu leben, wo es ihnen derzeit besser gefällt. Hier wird zum Segen, was oft kritisiert wird, und diese Freiheit möge man bitte auch nutzen, statt die eigenen Mitbürger, die hier gewisse Dinge zu schätzen gelernt haben, zu drangsalieren.

Davor, nicht vor Menschen, gehört es sich, uns und das Grundgesetz zu schützen, vor den Gegnern unserer Werte aus dem Inneren selbst wie von außen. Dagegen gilt es zusammen zu halten, gemeinsam zu agieren, sich nicht ausspielen zu lassen von Menschen, die zerstören wollen, was mehrere Generationen gemeinsam aufgebaut und geschaffen haben.

©denise-a. langner-urso