Politik und Ohnmachtsgefühle

 

Ich versuche immer wieder zu ergründen, warum die Gesellschaft inzwischen tiefer gespalten ist als jemals seit dem Reset dieses Landes nach dem Zweiten Weltkrieg. Und ich denke, es geht dabei vorrangig auch um ein Gefühl von Ohnmacht dem gegenüber, wie Politik sich nach dem Fall der Mauer, seit 1989 also, entwickelt hat.

Wir sind jetzt fast 30 Jahre danach und das ist, wenn man zu dieser Zeit ins Arbeitleben gestartet ist, oder auch nur kurz davor, fast ein ganzes Arbeitsleben. Ein Leben also, das dazu dient, den Lebensabend abzusichern. Und wer einmal genau hinter die Biografien dieser Menschen schaut, der braucht nicht viel um zu erkennen, dass keine Generation lebensarbeitstechnisch gesehen, in größerer Unsicherheit leben musste.

Niemals war es unsicherer, ob man beruflich eine geschlossene Biografie ohne größere Auszeiten aus dem, was sichere Renten brauchen, würde verbringen können, so gut wie jeder Lebenslauf weist Lücken auf, es sei denn, wir schauen uns ausgerechnet verbeamtete Menschen oder eben Politiker an. Da geht es nämlich so gut wie immer nur in eine Richtung, nach oben, da wird automatisch aufgestiegen.

Regierung als Selbstzweck

Bleiben wir also bei denen, deren Jobgarantie nicht besteht, die sanktioniert werden, wenn da etwas schief geht, selbst wenn sie an dem, was nicht läuft, gar nicht schuld sind, bei Krankheit etwa, oder wenn ihr Unternehmen ihren Job gegen die Wand fährt, aus welchen Gründen auch immer.

Wenn Menschen von Staat und Politik etwas erwarten, von einem Land, das sich Sozialstaat nennt ohnehin, dann das: Sicherheit auch in schwierigen Lebenslagen. Sie haben ja vorher nicht Nichts getan, sie haben getan, was von ihnen erwartet wird, nämlich gearbeitet. Und dieses Sicherheitsgefühl, das wurde ihnen spätestens mit der Agenda 2010 genommen. Ersetzt wurde es durch ein dauerndes Gefühl davor, dass irgendetwas schief laufen kann. Der Sinn des Lebens aber sollte nicht sein, in Angst leben zu müssen, dass man seiner Aufgabe nicht gerecht werden kann, dass man dann bestraft wird, all das verliert, was man versucht hat, sich selber aufzubauen, für das Alter anzusparen.

Hinzu kommt zu diesem Gefühl, dessen sich die Menschen oft gar nicht bewusst sind, weil sie es derweil mit der Muttermilch verabreicht bekommen, wenn sie in eine Umgebung geboren werden, in der bereits der Dauerzustand des Jobverlustes herrscht, dass sie dem Staat fast ohnmächtig ausgeliefert sind, dass sie wählen können, was sie wollen, es kommt dabei am Wahlabend genau das heraus, was sie dachten, es sei abgewählt worden, noch schlimmer, derzeit scheint die Abwahl schon fast unmöglich, weil man immer öfter den Eindruck erhält, am Ende werden einfach nur die Koalitionen größer, ja sogar die Opposition stimmt vielen Dingen zu, weil ihr nur noch daran zu liegen scheint, sich über komplette Regierungsperioden als Koalitionspartner bewerben zu müssen.

Das Volk ist egal, seine Vertreter sind es auch …

Weiteres Übel ist, immer öfter habe ich den Eindruck, wird irgendwie versucht, Dinge seitens der Regierung so zu regeln, dass der Bundestag gar nicht mehr zustimmen muss, und derweil der Wähler ständig durchsichtiger wird, wird immer öfter in den Massenmedien konstatiert, Verhandlungen hätten bereits hinter verschlossenen Türen stattgefunden, man sei sich einig, die Abstimmungsverhältnisse sind absehbar. Ja, derweil ist es so, dass man dies dem vom Wähler gewählten Bundestag und dem Wähler selber offen demonstriert, indem bei wichtigen Abstimmungen, die gesamte Regierungsspitze dem Gremium schlicht fernbleibt, fast nach dem Motto, was das Volk und seine gewählten Vertreter beschließen, geht uns am Arsch vorbei, macht was ihr wollt, schaut demokratisch beschlossen aus, und wir waschen unsere Hände in Unschuld, haben damit gar nichts zu tun, mit dieser Volksabstimmung, wir waren ja nicht dabei. So geschehen bei der Armenienabstimmung, obwohl Termine weit genug in der Zukunft liegen, um sie zu planen. Man lann sich nicht deutlicher als Regierung von seiner Bevölkerung abgrenzen, und es hat ja auch funktioniert, die Türkei ist nicht ganz so düpiert, weil ja Merkel, Gabriel und Steinmeier nichts für ihr stures Volk können, das ja derweil dermaßen Wutbürger ist, dass man bereits vom Wutvolk sprechen kann, und dass es nur darauf anlegt, jeden ab zu urteilen, mit dem die gewählte Regierung sich einlässt, Hauptsache, es kommen keine Flüchtlinge. So steht jetzt nämlich der Bundestag samt seiner Abgeordneten nach außen da, denn die Regierung bestimmt wo es lang geht, da kann der Wähler tun, was er will, und so kann man getrost weiter verhandeln, wie bisher. Fehlt nur noch die Entschuldigung der Bundeskanzlerin für das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten in Richtung Erdogan. Aber vielleicht hat sie ihm ja bereits in einem Zweiergespräch vertraulich versichert, man müsse die Institution einfach nicht ernst nehmen, denn regiert wird im Kanzleramt und nirgendwo sonst.

Wie lange soll das so gehen?

Ja, vielleicht sind dies genau die Wahrnehmungen jener, die entweder Wutparteien ihre Stimme geben, oder derer, die gar nicht mehr an Wahlen partizipieren. Diese Ingnoranz dem Parlament gegenüber und denen, die das Volk vertreten und die in normalen Zeiten eben nicht jedwede Ansage aus der Regierungszentrale mit Mehrheiten versehen, die sogar, wenn ihnen all das gegen den Strich geht, in anderen Dekaden, der Regierung die Zusammenarbeit, wegen noch vorhandenen Rückgrats und Gewissens, aufgekündigt hätten.

Dieses Ohnmachtsgefühl des Wählers, der gleichzeitig dem Staat gegenüber selbst Schutzbedürftiger wäre, der aber gefühlt kaum Schutz genießt, das dürfte es sein, was immer mehr Menschen an diesem einen Tag, der ohnehin nur alle 4 Jahre stattfindet, an dem der Bürger tatsächlich um seine Meinung gebeten wird, anders wählen lässt, als erwünscht, ihn vom Wahlgang abhält. Und wenn er bereits das demnächst vermutlich auf ihn zukommende Ergebnis abschätzen kann, nämlich dass einfach nur eine noch größere Koalition aus noch mehr Parteien resultieren wird, weil man politisch eben mit Protestparteien oder Parteien, die bereits seit Dekaden im Bundestag sitzen, nicht spricht, dann werden sich immer mehr genau solcher Parteien gründen, oder sie werden irgendwann eben doch Mehrheiten erringen und schon aus Zwang miteinander reden. Vermutlich könnten Linke und AfD ja bereits demnächst an die 30% derer ausmachen, die dauerhaft ignoriert werden, hinzu könnten bis zu 15% Nichtwähler kommen.

„Meine“ Regierung kann mich auch mal!

Wenn politisch nicht bald reagiert wird, wenn man dem Wähler das Sicherheitsgefühl nicht wiedergibt, wenn man ihm nicht das Gefühl gibt, gut aufgehoben zu sein, dass seine Stimme etwas bewirkt, dass Politik auch demütig sein kann, dass nichts von Dauer ist, auch keine Regierung. Dann sehe ist tiefschwarz spätestens für weitere Wahlen, denn dann wird die Bundesregierung irgendwann per nicht gewollter Mehrheiten im Bundesrat blockiert werden. Und nein, das sind keine spannenden Zeiten, das alles ist undemokratischer als viele wahrhaben wollen.

Meine Regierung kann mich mal, wenn ihr mein Votum, oder das meiner gewählten Vertreter, so sehr egal ist, wie am Tag der Abstimmung über den Völkermord an den Armeniern. Wenn sie mir so deutlich zeigt, dass sie damit eigentlich gar nichts am Hut haben will.

Und was bleibt? Die Vermutung, dass es so lähmend bleiben wird, so verfahren, gespalten, wie es ist. Im Gegenteil, die Spaltung wird sich verschärfen. Traurig aber wahr, weil Politik zum Selbstzweck für Wenige geworden ist, clanähnlich fast wie bei unseren Freunden in Übersee …

Kopf gegen Wand – Wochenende, zum Glück! Und mir bleibt das Gefühl- dass ich der von mir gewählten Regierung, und die von mir gewählten Vertreter, dieser, völlig egal sind. Dann sei es eben so, sie kann mich auch mal …

©denise-a. langner-urso