Wie schlecht das Bildungssytem ist, das kann man immer öfter an unseren Talkshows sehen, denn immer öfter schießen diese völlig an der eigenen Aufgabenstellung und an Themen vorbei. Anne Will war dafür gestern ein besonders gutes Beispiel. Die Fragestellung lautete nämlich: Kabinett komplett – wofür steht diese neue Regierung?
Ja, das wüsste ich auch gerne, nur schlauer wurde man bei Anne Will definitiv nicht. Wenn ich mir die Themenstellung als Zuschauer ansehe, dann erwarte ich, dass in so einer Runde ausschließlich Mitglieder der neuen Regierung sitzen und dass man dazu nicht Journalisten oder gar Oppositionsmitglieder wie Lindner oder Wagenknecht einlädt, denn was bitte haben die in dieser Runde zu suchen, wenn ich doch erfragen will, was die neue Regierung sich vorgenommen hat, wie sie es umsetzen möchte, welche Mittel und Wege dafür vorgesehen sind, um das Vorgenommene erreichen zu können.
Und von der Moderatorin oder dem Moderator, wo sind eigentlich die Herren geblieben, einer solchen Runde erwarte ich im Verlauf, dass man sich gemeinsam über alle Ministerien hinweg arbeitet, wobei dafür das Anne Will Format wesentlich zu kurze Sendezeit hätte.
Und ja, ich bemängele immer öfter, dass Talkrunden, zumal mit so wichtigem Thema ihre Sendezeit viel zu starr planen müssen, weil anschließend der Zuschauer, ob des drohenden Montags, ja auch irgendwann einmal ins Bett will. Warum also so ein Format nicht demnächst am Sonntag planen, mit einer Sendezeit, wie man sie ansonsten ja auch für Karnevalsformate einplant? Das werde ich wohl nie verstehen. Und dann wäre es doch einmal erfrischend gewesen, wenn man zu diesem termin die komplette neue Regierungsriege samt Kanzlerin eingeladen hätte.
Dass Anne Will es aber erneut erlaubte, dass der überwiegende Teil der Talkshow sich mit dem Thema Flüchtlinge befasste, das kann ich bis jetzt noch nicht glauben, denn dazu gab es zuletzt tatsächlich genug Gesprächsrunden, und man kann es nicht mehr hören, denn dieses Thema betrifft ja so gut wie alle anderen Ressorts, sei es nun bei sozialen Themen, beim Thema Sicherheit und Finanzierbarkeit des so dringend benötigten digitalen Wandels, mal ganz abgesehen von Bildung, Pflege, Rente und Wohnen.
Und ja, dieses Thema Finanzierbarkeit kommt mir persönlich ohnehin zu kurz, denn genau da und im Zusammenhang mit der Schwarzen Null, sehe ich für die neue Bundesregierung die größte Hürde. Und darüber wird mir viel zu selten geredet, und wer umverteilen oder schnell investieren will, und da muss ich Lindner ausnahmsweise Recht geben, der muss sich auch der Frage stellen, wer das alles wie bezahlen soll.
Dass dies in dieser Zusammensetzung völlig unterging, untergehen musste, geschenkt, nur die Frage hätte man einer anders besetzten Runde natürlich auch stellen können und müssen, zudem ja noch ein Handelskrieg im Raum steht, ein neues Steuerparadies geschaffen wurde, und bisher gar nicht klar ist, ob nicht das eine oder andere Unternehmen eben doch in Versuchung kommt, Arbeitsplätze in die USA zu verlegen, und was dann die Bundesregierung im Gegenzug machen würde, denn es kann ja nicht sein, dass wir uns von einem Populisten hier in eine Steuersenkungsspirale nach unten treiben lassen, dann können wir nämlich alles was in der Regierungszeit Merkels bisher vernachlässigt wurde, aufzuholen vergessen. Und auch dazu hätte man doch gerne intensiver diskutieren dürfen, eben darüber, was denn dann passiert, und wofür die Bundesregierung in diesem Fall steht, wie sie reagieren würde, wenn hier Arbeitsplätze abgezogen werden würden.
©denise-a. langner-urso