Das liebe Geld

Ein Sommermärchen

Es war ein lauer Sommerabend, an dem sie sich zusammen gefunden hatten, um gemeinsam die Fußballweltmeisterschaft zu schauen. Das Besondere an internationalen Großturnieren war, dachte Manuel, dass sich Menschen für Fußball begeisterten, die ihm normalerweise neutral bis ablehnend gegenüber standen. Seit dem Sommermärchen 2006 war es sogar als völkerverständigend zu begreifen, wenn sich die Massen zum Public Viewing zusammen fanden.

An diesem warmen Abend, der zum Grillen und draußen Sitzen einlud, ging es um das Weiterkommen im Viertelfinale. Drei Familien mit Kind und Kegel hatten sich heute getroffen, zusammen eine nachmittägliche Wasserschlacht gemacht und die Steaks, die Würstchen, den Fetakäse sowie das gegrillte Gemüse mit unterschiedlichen Soßen, viel Salat und krossem Baguette genossen. Jetzt saßen sie vor der Leinwand, ein Projektor brummte leise über ihren Köpfen und sie verfolgten gespannt die Partie, in der die eigene Mannschaft nicht ins Spiel finden wollte, was alle Zuschauer mehr oder weniger in Stress versetzte. In diese Spannung hinein platze das wohl am wenigsten hinterfrage Urteil, dass es über Einkommen, Leistung und Erfolg gibt: „Für das Geld, dass die verdienen, müssten sie wirklich besser spielen und sich den A… aufreißen!“.

Das liebe Geld

Gerade bei Profisportlern wird deutlich, wie wenig die Höhe des Einkommens mit der tatsächlich erbrachten Leistung zu tun hat. Ein hohes Einkommen spiegelt keine wirkliche Leistung wieder, stattdessen ist es ein Gradmesser für eine früher erbrachte und in Zukunft erwartete Leistung. Das ist ein gewaltiger Unterschied! Doch welchen Einfluss hat Geld auf unsere Motivation, auf unser Zusammenleben und auf unser Wohlbefinden? Wissenschaftlich haltbar sind folgende Zusammenhänge:

  • Glaubenssatz der Wirtschaft: „Anreizung über Prämien führt zu höherer Motivation und höhere Motivation führt zu höherer Leistung.“

Erkenntnisse der Wissenschaft: Sam Glucksberg stellte fest, dass materielle Anreizung überhaupt nicht automatisch eine höhere oder bessere Leistung zur Folge hat. Dan Ariely mit Kollegen erkannten, dass eine höhere Motivation aufgrund einer Anreizung über Prämien erreicht werden kann. Sie wiesen darüber hinaus nach, dass mehr Motivation, selbst wenn sie erreicht wird, nicht zwangsläufig zu besserer Leistung führt. Der unterstellte Zusammenhang zwischen Motivation und Leistung stimmt, so die Forschungsergebnisse, für verschiedene einfache mechanische Tätigkeiten, die repetitiv lineare Prozesse abarbeiten. Also bei Aufgaben, die vermehrt automatisiert, charakteristisch für das zwanzigste Jahrhundert und nicht menschenfreundlich sind. Bei Arbeiten, die den Menschen, seine Intelligenz, Kreativität und sein Denkvermögen fordern, wirken gerade hohe Prämien, also starke Anreizung wie wir sie etwa im Top-Management sehen, sogar bis hin zu einer Leistungsblockade. Sprich: Eine verstärkte Motivation, die dazu dient, ein vorbestimmtes und prämiertes Ziel zu erreichen, bedeutet eben noch lange keine besser oder einfach auch nur gute Leistung.

  • Glaubenssätze der Wirtschaft: „Geld beruhigt, bringt Sicherheit, ja sogar Freiheit und macht wirtschaften überhaupt erst möglich.“
    „Über Geld spricht man nicht, Geld hat man.“

Erkenntnisse der Wissenschaft: Sinnvolles Wirtschaften fußt auf Kooperation, Vertrauen und Fairness. Drei Werte, die in nahezu allen Unternehmensleitbildern weltweit nicht fehlen dürfen. Doch wie steht das Thema Geld zu diesen Werten? Fasst man die Ergebnisse von Kathleen Vohs Studien zusammen, dann verhindert Geld das Bitten um Hilfe, hemmt die eigene Hilfsbereitschaft, schafft physisch messbar Distanz zwischen Menschen und macht einsam. Mit anderen Worten: Die Zeit, die für Gespräche, Artikel, Sendungen und Diskussionen über Tarifverträge, Renten, Arbeitslosengeld, Hartz IV, Boniregelungen, Leistungsausgleiche, Überstundenvergütung, Spielergehälter, Anzeigenpreise, Einkommensranglisten und dergleichen mehr verbraucht wird, ist nicht nur Zeit, in der nicht gearbeitet wird; es ist Zeit, die vertrauensvolle Zusammenarbeit und Kooperation oder anders gesagt sinnhaftes Wirtschaften vernichtet.

  • Glaubenssätze der Wirtschaft: „Wo es Gewinner gibt, muss es Verlierer geben.“
    „Es wird immer so sein, dass fünf Prozent mehr haben als der Rest und diese fünf Prozent sagen, wo‘s lang geht, schließlich kann nicht jeder führen.“

Erkenntnisse der Wissenschaft: Die Langzeitstudien von Whitehall I und II sowie das aktuelle Buch von Richard Wilkinson und Kate Pickett „Gleichheit ist Glück“ zeigen auf, dass die Industriegesellschaften der sozialen Marktwirtschaft mit ihrem Slogan „Wohlstand für alle“ richtig lagen. Leider wurde dieser Slogan zwischenzeitlich gehörig verbogen. In der heutigen Casting-Generation bedeutet er: Jeder hat die Chance superreich zu werden, ganz unabhängig übrigens von Bildung und Leistung. Gelingen kann es nur sehr wenigen. Dabei verschwindet das Verständnis, wonach Wohlstand eben gerade nicht monetärer Reichtum ist. In den Industrienationen, in denen die Schere zwischen Arm und Reich, besonders drastisch auseinander klafft, finden wir unter anderem mehr Probleme in der Gemeinschaft, weniger Vertrauen und häufiger gestörte soziale Beziehungen als in Ländern, in denen die Einkommensungleichheit weniger ausgeprägt ist (z.B. USA vs. Schweden oder Japan). Und dennoch wollen die meisten zu den wenigen Reichen gehören, ohne zu erkennen, was diese Haltung bewirkt.
Der zunehmende Mangel an Vertrauen, Gemeinschaft und gesunden sozialen Beziehungen wirkt sich gesellschaftlich in Form von Drogenkonsum oder steigender Gewaltbereitschaft aus. Darüber hinaus hat dieser Mangel auch direkte körperliche Auswirkungen auf unsere Gesundheit und Lebenserwartung. Zu große Unterschiede im Einkommen schaden nicht nur unseren Gesellschaften, so die wissenschaftlichen Erkenntnisse, sie schaden gleichermaßen unseren Unternehmen. Sie verursachen und befördern nachweislich Krankheit, Misstrauen, schlechte kognitive Leistungen und Aggression. Also genau die Charakteristiken, die wir mit sinngekoppelten Unternehmen überwinden.

Würden wir uns rational wissenschaftlich mit dem Thema Geld als Einkommen auseinandersetzen, wäre klar: Für alle Arbeiten, in denen Intelligenz, Kreativität und Verantwortung, kurz Mitdenken, gefragt ist, sollte die Leistungserbringung nicht mit Prämien, Boni oder ähnlichem angereizt werden. Und vermutlich kann auch bei allen anderen Formen der Arbeit ohne Einbußen darauf verzichtet werden. Für ein hohes Maß an Kooperation, Vertrauen und Fairness sollte Geld nicht tabuisiert werden und dennoch nur einen möglichst kleinen Teil der Kommunikationszeit im Unternehmen einnehmen.
Mein Rat: Sorgen Sie für Transparenz der Kassen – der Gewinne und Verluste, Investitionen, Betriebskosten usw. – dann verliert das Geld den Reiz des Unausgesprochenen und Spekulativen und wird als Klatsch- und Tratschthema langweilig. Für ein gutes, nicht aggressives Betriebsklima, Gesundheit sowie allgemeine Zufriedenheit bei den Mitarbeitern, sprich eine positive Unternehmenskultur, sollte darauf geachtet werden, dass der Unterschied zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Einkommen nicht zu groß ist. Zugespitzt kann wissenschaftlich basiert gesagt werden: Die Abschaffung leistungsbezogener Einkommen, Kassentransparenz und gleicher Lohn für alle ist eine Erfolg versprechende Rezeptur für intelligente Leistungen im Rahmen eines kooperativen, zufriedenen, gesunden und fairen, also sinnhaften Wirtschaftens. Wie das in der unternehmerischen Praxis funktioniert, beschreibt Gernot Pflüger in seinem Buch „Erfolg ohne Chef“, in dem er sein Leben sowie die zwanzig jährige Erfolgsgeschichte seiner Firma als praktischen und nicht zu leugnenden unternehmerischen Real-Nachweis ins Feld führt. Die Frage ist also: Wollen Sie sich für eine bessere Wirtschaft der Wirklichkeit und dem Stand der Wissenschaft stellen und die Konsequenzen ziehen?

© Gebhard Borck

Gebhard Borck

Ich führe und berate seit über 10 Jahren. Ich habe zahlreiche Unternehmen unterschiedlicher Größe, Branchen und Nationen aus verschiedenen Blickwinkeln kennen gelernt. Als Autor bin ich seit 2004 tätig. Gemäß unserer Zeit habe ich vor allem in Onlineforen und -zeitschriften veröffentlicht sowie über mehre Jahre (2005 – 2008) gemeinsam mit Niels Pfläging die XING-Gruppe Beyond Budgeting inhaltlich voran getrieben und moderiert. Gemeinsam mit Niels und Andreas Zeuch habe ich 2008 die Kolumne bye bye Management bei changeX geschrieben. Affenmärchen ist mein erstes Buch. Seit 2009 veröffentliche ich gemeinsam mit meinen Netzwerk-Kollegen Andreas Zeuch und Markus Stegfellner. Bereits Ende der 90er Jahre befasste ich mich auch wissenschaftlich mit der Zukunft des Managements und habe meine Abschlussarbeit über Die Zukunft des Managements von selbststeuernden Prozessen verfasst. 

Tags: