Die wunderbare Welt der Susi Natter – oder: Facebook, hauch mir Leben ein!

Das Internet. Ein schier nie versiegender Quell des Wissens und der Informationen, welchem wir uns doch nur zu gern täglich bedienen. Aber auch ein Quell, ja geradezu ein niemals versiegendes Füllhorn an Menschen, denen wir vermutlich nie hätten begegnen dürfen. Oder auch wollen. Je nach dem, wie man die Münze dreht und wendet.

Und dann gibt es ja noch dieses sagenhafte, sagenumwobene und weltumspannende Facebook.

Die Sammel,- und Entsorgungsplattform für Freundschaften unserer Zeit. Wer dort mitmacht, ist in, hat was zu sagen oder auch nicht. Denn auch hier gehen die Betrachtungen weit auseinander. Aber wer sucht, der findet dort wahre Diamanten, die einem im alltäglichen Leben für immer verborgen gewesen wären. Zwei von diesen stelle ich vor. Ihre Namen sind frei erfunden, sie dienen quasi exemplarisch als Beispiele weiblicher und männlicher überhöhter Selbstdarstellungskunst im Medium Internet. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen der Welt des Internets sind ganz sicher nicht gewollt. Aber wer glaubt denn schon, dass es solche Typen gibt?!

Eine dieser koryphäenhaften Internetwesen ist Susi Natter. Susi Natter entstammt einer norddeutschen, über Jahrhunderte hanseatisch geprägten, Millionenstadt und verbringt den Tag, und auch oft die Nacht, in ihrer wunderbaren kleinen Welt. Versunken im Meer der weltweiten Daten schwimmt Susi dem allgemeinen Strom hinterher und so manch einer darf sich glücklich schätzen, wenn sie dabei halt bei ihm macht. Denn Susi ist schon wählerisch. Nicht jeder darf ihre Freund, ihre Freundin sein. Nein, nein! Da ist sie sich und ihrer überbordenden Intelligenz treu, und vielleicht sogar des öfteren selbst im Wege. Susi, eine Frau im abknospenden Alter wirkt auf ihren Profilfotos zeitlos. Das Lächeln, welches sie auf ihren Bildnissen den Lesern schenkt, scheint ihr gerade selbst vergangenen zu sein. Aber so blickt sie denn nun mit großen Augen und breitem Mund die Schar ihrer Leser an.

Susi Natter ist eine Frau des Internets, wenn es sie nicht gebe, hätte sie Microsoft-Erfinder Bill Gates gleich mit entwerfen müssen. Ihre universelle Bildung, die sie auf ihrem Facebookportal geradezu berauschend verströmt, ist betörend. Sie weis zu jedem Thema dieser Welt eine Antwort. Ihre Kritiken über andere sind ebenso gefürchtet wie messerscharf. Sei es, wenn es darum geht rechtliche Fragen zu lösen, oder auch, wenn es um Gedenktage und Aufarbeitung deren Ursachen geht, bis hin zu Beurteilungen der deutschen Presselandschaft. Susi Natter ist stets dabei und mittendrin, am Puls der Zeit und am Trend der Meinungen.

Aber, wie es bei echten Kaltblütern im Tierreich so ist, kann sich auch eine Frau Natter schnell an ihre Umgebung anpassen. So rasant, wie sie das verbale Schwert zieht, so flink landet dieses auch wieder in seiner Scheide. Oder Susi Natter wechselt mal eben mit einem zügigen Ausfallschritt die Fronten und positioniert ihre Angriffe, dann von der anderen Seite, neu. Ein Talent, welches ihr im wahren Leben wohl kaum jemand ansieht. Ausleben kann sie es auf Facebook. Dort ist sie unter ihresgleichen, sicher nicht so gleich wie alle anderen, aber mithin ein Teil dieser Gesellschaft.

Susi Natter hat viel Zeit, so scheint es. Sie kommentiert in den frühen Morgenstunden, den ganzen Tag hindurch und auch oft mit Anbruch der Nacht vermag sie nicht ruhen zu wollen. Susi hat ihren Rhythmus für sich und das Verbreiten ihrer Ansichten gefunden. Der spärliche Beifall ihrer Freunde scheint ihr Recht zu geben. Dabei spielt es für Susi keine Rolle, dass immer nur die gleichen den berühmten „Daumen hoch“ bei Facebook für ihre geistigen Ergüsse anklicken. Denn für Susi sind auch die, welche ihr zustimmend auf Facebook begegnen, keine ernstzunehmenden Gesprächspartner. Eine intellektuelle Augenhöhe mit diesen kann eine Susi Natter niemals haben. Ihr Ziel ist es, viele auf Facebook dahingehend zu missionieren, dass es endlich zu einem ganzheitlichem Internetklima kommt, in welchem eine Natter am besten existieren kann.

Für Susi Natter ist Facebook schon längst keine Parallelwelt mehr. Sie ist versunken im Medium und taucht nur spärlich wieder auf. Die Auftauchphasen werden bei ihr immer weniger. Denn Luft bekommt sie im wahren Leben schon lang nicht mehr. Zu sehr ist ihre Welt begrenzt auf ihre zwei Augen, welche auf den Monitor starren, während ihre Finger erbarmungslos die Tastatur malträtieren. Ihr restlicher Körper scheint keine Rolle mehr zu spielen. Nur ihr Geist ist es, der die anderen überflügeln soll. Und so ist sie ein Wesen, welches zwar von anderen einfordert, Präsenz zu zeigen bei ihren diversen Forderungen, aber welches selbst nur ein Geist ist, dass nur Facebook erschaffen haben kann.

Ein anderes solches Internetwesen ist ein mittelälterlicher Mann, vermutlich alleinstehend und Frührentner aus dem südlichen Bereich des schönen Nordrhein-Westfalen. Ich nenne ihn, aufgrund seiner übermenschlichen intellektuellen Gaben, Genius Universalis.

Genius Universalis kämpft mit allem, was er noch an spärlichen Mitteln besitzt, dafür, die Vermehrung seiner eigenen Erkenntnisse in das Bewusstsein der Internetuser zu bringen. Und dafür plagt er sich mitunter 24 Stunden am Tag. In vielen Foren, Blogs und Plattformen begegnen wir ihm, ihm, dem Meister der politischen Analyse, dem Halbgott der sozialen Schwachen und dem selbsterklärten charismatischen Künstler des Wortes.

Genius Universalis schreibt Geschichten aus dem trostlosen Leben, eigentlich seinem Leben, der gebeutelten und geschwächten dieser Welt. Als trüge er süssen Nektar auf seinen Lippen, kleben ihm die Leser an den imaginären selbigen. Was er schreibt, und er schreibt viel, findet Anklang nicht nur bei seinen vielen, wie er stets zu betonen weis, tausenden von ergebenen und wissensdurstigen Anhängern. Nein, auch die Internetintelligenz adelt ihre Webauftritte mit seinen Ergüssen, um am Erfolg dieses Mannes ein wenig partizipieren zu können.

Neben seiner analytischen, politischen, kulturellen und sozialen Kompetenz findet er aber immer noch Zeit um auch hin und wieder in die Niederungen der deutschen Sprache mit ihren Verbalinjurien zu versinken. Dann schreibt er viele Mails an viele Menschen, die niemals vorher durch ihn hätten beglückt werden können, wenn er sie nicht angeschrieben hätte. Die große Gnade, auch diesen geistig ärmeren Menschen ein paar Häppchen seines cerebralen Reichtums zu gönnen, zeichnet Genius Universalis noch mehr aus.

Und so schreibt er weiter um des Schreibens willen. Frohlockend erwartet von einigen, die schon als Kinder die Bücher der Märchenerzähler geliebt hatten. Genius Universalis erkämpft sich einen Spitzenplatz in der Internetwelt und bleibt doch der, der er ist. Würde jemals ein Unmensch versuchen, diesem Manne den Zugang zur weltweiten Datenübertragung zu nehmen, zerbräche Genius Universalis und hinterliesse eine Lücke so groß wie ein Luftballon nach dem Platzen.

Susi Natter und Genius Universalis wurden geboren um der Neuzeit und seinem populärsten Medium zu dienen. Zu dienen auch den vielen Usern, die tagtäglich auf neueste warten, von diesen beiden endlich wieder lesen zu dürfen, lernen zu dürfen und die Sinnhaftigkeit von Facebook und anderen Plattformen zu erkennen und zu verstehen.

Fragt man beide nach ihrem Leben, so bleiben sie stumm. Sie nehmen stattdessen Schreibposition vor ihren Laptops ein und fangen an das zu machen, was sie nun mal am besten können. Sie versinken in eine Welt des von ihnen moderierten und beherrschten Dialogs, welcher Widerspruch nicht dulden kann und geben sich dem Vergessen hin. Morgen ist ein neuer Tag. Susi und Genius haben ihre eigene aufgehende Sonne gefunden. Das Licht, welches strahlt, wenn der Rechner hochgefahren ist.

Dann beginnt deren Leben.

*Artikel Detlef Obens