Glaube, Sitte, Heimat….schwuler Schützenkönig im schwarzen Münsterland

Eigentlich, so sollte man meinen, nur eine Randnotiz wert. Bestenfalls tauglich für eine größere Aufmachung in den heimischen Tageszeitungen des Münsterlandes. Ein schwuler Mann wird Schützenkönig und sein Lebenspartner begleitet ihn auf der anschliessenden Parade durchs Dorf. Deutsches Brauchtum mit seinen Wurzeln von Glaube, Sitte und Heimat.

Und das zu Zeiten eines immer mehr vereinten Europa, einer gemeinsamen europäischen Währung, von europäisch angepassten Wertevorstellungen und der dadurch in vielen Lebensbereichen übernommenen skandinavischen Toleranz. Noch zeitgemäß, und wie passt das zusammen? Das es offenbar so gar nicht gut passt, belegt dieser aktuelle Fall. Der beste Schütze im münsterländischen Horstmar war der offen homosexuell lebende Dirk Winter. Und der erkor, nach alter Schützensitte, seinen Lebenspartner Oliver zu „seiner Schützenkönigin“. So weit, so gut!

Zunächst stellt sich die Frage nach der Motivation eines Schwulen überhaupt einem Verein beizutreten, in dessen Aufnahmeantrag  die edlen Werte Glaube, Sitte und Heimat gepriesen werden. Nach Grundsätzen der katholischen Kirche sei dort zu leben.Und das alles, um einmal im Jahr irgendeinen Vogel abzuschiessen, der dann danach völlig unsittlich mit viel Alkohol und anderen weltlichen Freuden begossen und befeiert wird. Dazu tragen die Herren der Schöpfung schicke, zumeist grüne, Anzüge mit Hüten, auf denen diverser Federschmuck angebracht ist. Die Damen dieser Herren kleiden sich dazu in Abendrobe, egal wie das Wetter ist, die Frisur sitzt, das Kleid zumeist auch. Denn einmal im Jahr ist die Welt wieder in Ordnung. Voller Glaube, Sitte, Anstand und Heimattreue. So stehts geschrieben, zumindest!

Und nun sowas! Ein schwules Paar regiert eine münsterländische Schützenbruderschaft für ein ganzes Jahr. Stellt quasi die Welt der Gläubigen, der Gesitteten und Heimatverliebten auf den Kopf! Hier muss Kirche handeln, ohne Frage! Und ganz besonders die katholische.

Jene Kirche, die Homosexualität verteufelt, Kondome anprangert, Schwangerschaftsabbrüche unter keinen Umständen dulden kann und denen die Menschen, auch die jungen, so am Herzen liegen. Und sie handeln auch. Inform des BHDS – Dachverbandes, dem die Schützenbruderschaften Deutschlands angehören, wird nun laut darüber nachgedacht, den schwulen König Dirk vom alljährlichen Königsschiessen auszuschließen. Welch ein Abgrund täte sich auf, wenn womöglich am Ende, wenn alle Schützenkönige ihren besten Schützen ermitteln, dies ein Schwuler wäre? Wo wären dann Glaube, Sitte und Anstand in deutschen Landen? Und wenn dies Kreise ziehen würde, also Schwule in Schützenvereinen, was wäre dann mit den Königinnen? Würden die abgeschafft? Gäbe es am Ende Drag-Schützenqueens?

Fragen über Fragen zu einem wichtigen Thema deutschen Brauchtums.

Vielmehr zeigt sich mal wieder an diesem kleinen Beispiel, wie kleinbürgerlich die Deutschen immer noch sind. Gebt Homosexuellen die Rechte die sie verlangen, aber bitte mit Mass! Nicht zu viel, es könnte das Weltbild so mancher Heimattreuen zutiefst erschüttern. Reicht es nicht, einen schwulen Aussenminister, oder einen schwulen Berliner Bürgermeister zu haben? Muss es jetzt auch noch ein schwuler Schützenkönig sein?.

Das auch homosexuelle Männer und Frauen gläubig, gesittet und vielleicht auch Heimatverbunden sein können, ist für manche Dachverbandsschützen und ihrer kirchlichen Mitbrüder außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Nichts darf sein, was nicht sein darf. So ist deutsches Brauchtum. Es hat seine langen und traditionsreichen Regeln, oftmals verwurzelt in der katholischen Kirche. Einer Kirche, die zunehmend die Menschen ausgrenzt, anstatt integrierend zu wirken und den massenhaften Kirchenaustritten entgegenzutreten. Und auch einer Kirche, die niemals frei von Sünde war. Schlimmen Sünden, bis in die heutige Zeit!

Der Dachverband der Schützen hat nun die einmalige und historische Chance, seinen Kritikern zu belegen, dass auch sie, trotz Tradition, im Jahre 2011 leben. Das am Ende vielleicht ein schwuler Schützenkönig einen ganzen Bundesverband in Bedrängnis bringen kann, ist schon eine pikante Angelegenheit. Ein schwuler Schützenkönig macht noch keinen endgültigen Sittenverfall. Vielmehr könnte er als verbindende Klammer zwischen deutschem Brauchtum und deutschem alltäglichen Leben wirken. Vielleicht erweicht so mancher Beton in den Köpfen der Schützenoberen und es kehrt Einsicht und Toleranz in die Gehirne dieser Sittenstrengen ein?

Schützenkönig Dirk und sein Prinzgemahl Oliver erleben stürmische Zeiten. Werden bundesweit bekannt, ob gewollt oder nicht. Sie nehmen für andere die Fahrt auf. Wo andere nur reden, handeln diese beiden ganz praktisch und lebensnah. Ihre erlebte Ausgrenzung (die allerdings nicht in ihrem Heimatverein stattfindet!) könnte neuen frischen Wind in die Debatte um die Rechte von Schwulen und Lesben bringen. Die völlige Angleichung der Lebenspartnerschaften von homosexuellen Paaren mit der herkömmlichen Ehe zwischen Mann und Frau muss endlich kommen. Heutzutage gibt es kein vernünftiges Argument mehr dagegen. Die katholische Kirche sollte sich heraushalten aus Debatten wo sie immer nur eines ist: unnachgiebig und rückwärtsgewandt. Ihre Position zum Thema Homosexualität ist für sie unverhandelbar. Und damit ist sie keines Konsenses fähig.

Derzeit hat sie allerdings in der Bundesregierung noch die Unterstützung, die sie politisch benötigt. Auch Dank einer FDP, die beim Thema Rechte für Schwule und Lesben, überhaupt kein Rückgrat mehr zeigt. Allerdings gibt es für Reformen kein Zurück mehr. Die Akzeptanz der meisten Deutschen gegenüber Homosexuellen ist gewachsen und groß. Für viele ist dies überhaupt kein Thema mehr im Jahre 2011. Für einige Mitmenschen allerdings noch immer.

Und auf einmal sind nicht mehr die Schwulen und Lesben am moralischen Pranger. Was für eine verkehrte Welt für die steten Anhänger von Glaube, Sitte und Heimat!