Identität und Nationalismus

Deutschland rückt in der Mitte zusammen, jedenfalls, was die Parteienlandschft betrifft, vielleicht steht ja Die Linke nocht etwas am Rande, aber doch, irgendwie versucht auch sie, sich irgendwo in der Mitte der Gesellschaft anzusiedeln, fast unbemerkt.

Die Parteienlandschaft hat sich zusammengequetscht, ähnelt zwei Atomen, die ihre äussersten Teilchen, die Wähler austauschen, wenn man es einmal chemisch betrachtet. Sie ziehen Wähler an, stossen sie ab, fast wie in atomaren Verbindungen, mathmetisch betrachtet kann man das auch mit der früheren Mengenlehre vergleichen.

Viele Wähler aber wollen dieses Prinzip nicht, der Einheitsbrei in der Mitte offenbart keine genauen Abgrenzungen, Ziele. Kleine Parteien, wie etwa die FDP lösen sich auf, ihre Wähler finden sich längst irgendwo im Einerlei wieder. Andere Wähler hingegen haben ihre angestammte Heimat in der Parteienlandschaft völlig verloren, fordern Abgrenzung, wissen nicht mehr, welcher Unterschied vorhanden ist, das Einheitsgrau dieses Parteiensozialismus gefällt ihnen nicht. Sie verabschieden sich entweder ganz von ihrem Wahlrecht oder driften völlig ab in Randparteien mit extremen Weltanschauungen, radikalisieren sich unbemerkt, weil sie eben einfacher gestrickt sind, als die Agitatoren im Einheitslook das wahrhaben wollen. Diese Wähler wollen die Fertigbauweise der Politik, ihre klaren Aussagen, klares, zielgerichtetes Handeln, haben konkrete Vorstellungen davon, dass Politik eben nicht eine schwankende Weide im Winde sondern eine starke Eiche zu sein hat, die feste Wurzeln hat.

Rechte Parteien bieten diesen Menschen für sie einfach nachzuvollziehende Programme, mit Wertvorstellungen, die man auf den ersten Blick erkennt und die man nicht erst mühsam aus der Suppe der Mitte herausfiltern muß. Sie bemühen sich dabei zudem einer für jeden Menschen verständlichen Sprache, die auch für Menschen verständlich ist, die nicht das Abitur mit Bestnote abgeschlossen haben.

Hier finden solche Menschen ihre Heimat, sie können jene, die sich ihrer Sprache angenommen haben verstehen, finden Halt in einer Umgebung, die ihnen die Realität ihrer eigenen Umwelt nicht zu bieten vermag.

In einer Zeit, in der wenig sicher und viel fraglich ist, in der niemand wirklich weiß, ob er im kommenden Jahr noch gebraucht wird, wo Politik Milliardensummen an jeden nur nicht an sie verteilen kann, wo die Zukunft ihres Alters ihnen ungesichert erscheint, suchen sie nach ihrer Identität, und hier wird ihnen Gehör geschenkt, in Parteien, die am rechten Rand sich ansiedeln, mit Parolen, die den Haltlosen Wärme versprechen und Sicherheit. Hier fühlen sie, dass man sie ernst nimmt, dass man ihnen zuhört. Hier wird ihnen gesagt, dass nicht alles schlecht war, dass sie das recht haben, im eigenen Land als jemand zu gelten und sicht nicht wegducken zu müssen, tagtäglich, vor wem auch immer. Hier wird ihnen vermittelt, dass andere ihnen das nehmen wollen, die Politik, die Wirtschaft, was sie mit erarbeitet haben, und worauf sie stolz sein können.

Dieser Stolz aber, er wird ihnen vom Einheitsbrei der sonstigen Parteienlandschaft untersagt, unter dem Vorwand, das könne anderswo in der Welt als Hochmut aufgefasst werden, als vorlaut, besserwisserisch und schon fühlen sie sich ausgegrenzt. Eine Fahne zu schwenken, speziell die eigene, das ist alleine kann schon genügen, um sie auszugrenzen, ausser an Feiertagen oder beim Fußball, so glaubt man, sei das unfein, und die Nachbarn könnten in Panik geraten, vor so viel Nationalismus.

Hinzu kommt dann noch eine Zeit, in der Männer ihre eigene Identität verstecken und weinen können müssen. Das mag gelehrt werden, aber Mehrheitsfähig bei der Generation der 40-60 Jährigen ist es eben doch noch nicht, sie haben die Turnschuhe ja hinter sich gelassen und die Jeans gegen den Anzug getauscht, gezwungenermaßen. Diese weichgespülte Kuschelgeneration hat auch verlernt, was es bedeutet ihren Kindern Respekt beizubringen und ist für sie dadurch zum gleichberechtigten Kumpel geworden, der jeden Unsinn verzeiht und der durch seine Art dadurch zum Bittsteller statt zum Vorbild mutiert ist. Rechte Parteien gestatten solchen Menschen quasi sich so zu verhalten, wie sie selbst noch erzogen wurden, indem sie anstatt ein Thema totzudiskutieren Stärke beweisen, indem sie ihren Worten das stumme Basta folgen lassen.

Der Mensch, der sich verstellte und anpasste an eine Moralvorstellung und gesellschaftliche Konventionen, die ihm widernatürlich erschienen, weil sie seinem Rollenverständnis diametral entgegenstanden, findet genau dort seine Identität, wo er natürlich sich verhalten und auch auf sein Land stolz sein darf. In seiner Kindheit, das kommt hinzu, hat er selbst den „Gastarbeiter“ kennengelernt, der nun unter Umständen sein Vorgesetzter geworden ist, dessen Sohn die Lehrstelle erhalten hat, auf der er gerne das eigene Kind gesehen hätte.

Dann erfährt er, er wirdt aussortiert, und ein anderer Mensch aus einem anderen Staat nimmt seinen Platz für einen niedrigeren Lohn ein, die Wirtschaft ruft nach qualifizierten Mitarbeitern. Was und wen sie damit meint, spielt für diese Person schon keine Rolle mehr, er sieht nur, dass er gezwungen wird, ebenso für einen geringeren Verdienst zu arbeiten, wenn er eine neue Beschäftigung finden will. Ein Sarrazin hat an dieser Stelle ein leichtes Spiel.

Die Politik hingegen hätte viel früher reagieren müssen und nicht, nachdem sie Wind gesät hat. Man hat die Menschen nicht mitgenommen während der Zeit des Neoliberalismus und der Heuschrecken, weil jeder nur an sich selbst gedacht hat, weil man die in der Wirtschaft geltenden Prinzipien des Raubtierkapitalismus auf den Menschen hat anwenden wollen. Aber der Mensch ist unter normalen Umständen eben kein Raubtier sondern ein soziales Wesen, das nichts will ausser sich um seine Familie und deren Wohlstand zu kümmern. Die starken Eingriffe in die familiären Bereiche durch eine gnadenlose Arbeitswelt unter Abschaffung vieler sozialer Errungenschaften haben massiv dazu beigetragen, dass der Mensch die mitte seines Lebens verlor, die Familie als soziales Auffangbecken. Seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts haben Kapital und Weichspülgänge aus Vätern Rottweiler am Arbeitsmarkt und feminine Küchenengel daheim geformt, und das nimmt kein Jugendlicher ernst. Frau hingegen wurde zur gestressten Managerin mit Mehrfachbelastung, die froh war, wenn sie wenigstens daheim nicht weiter gestört wurde. Diese Identitätsvertauschung, diese Entsozialisierung hat das zerstört, was der Mensch über Jahrtausende hinweg erlernt hat, und er durfte auf das, was er erreichte noch nicht einmal mehr öffentlich stolz sein.

Das sich so jemand dann irgendwann denen anschließt, die ihm genau das gewähren, was er als natürlich empfindet, wen wundert das, hat er sich doch selbst lange genug verleugnen müssen, und darüber lohnt es sich einmal nachzudenken, wenn man sich demnächst verwunert fragt, wieso denn plötzlich rechte Populisten Gehör finden und warum solche Parteien Zulauf erfahren. Man hat den Menschen ihre Werte genommen, ihre Sicherheit, sie umgeformt wie nassen Ton ungefragt und ohne ihnen zu erklären, wofür das alles gut sein soll.

©denise-a. langner-urso