Macht Menschen zu Dingen!

Sind Sie in den letzten Jahren operiert worden? Können Sie sich noch an das Prozedere erinnern? Als ich 2009 unters Messer kam, verlief der Prozess wie folgt: Ich saß gegen halb neun, nichts Böses ahnend, vor dem Fernseher. Voller Vorfreude genoss ich den Abend vor dem Urlaub in Spanien, den wir am Folgetag antreten wollten. Plötzlich begannen mich aus dem Nichts heraus starke Bauchschmerzen zu plagen. Nach einigem Durchhalten zogen meine Frau und ich zwei Konsequenzen. Ich ließ mich ins Krankenhaus bringen und wir den Urlaub sausen. Die Diagnose war schnell gestellt: Gallensteine mit Gallenblasenentzündung. Ich wurde über Nacht im Krankenhaus behalten, und man konnte den ganzen Organ-Apparat beruhigen, so dass keine Notoperation durchgeführt werden musste. Stattdessen wurde ein OP-Termin vier Wochen später vereinbart. In der Vorbereitung auf den Eingriff klärte mich ein Chirurg anhand eines Formblattes über die Durchführung und die Risiken auf. Danach erfasste ein Anästhesist meine körperliche Verfassung sowie mögliche Allergien auf Betäubungsmittel und dergleichen. Am Vortag der Operation kam ich zur Einweisung ins Krankenhaus und erhielt eine Din-A4-Seite bedruckt mit kleinen Barcode-Etiketten, die mich als Patienten in der Aufnahme, auf Station, im Operationssaal, in der Aufwachstation und beim behandelnden Facharzt identifizierten. Ab jetzt war ich eine Nummer, die auf Gängen verschoben, von Händen präpariert und Instrumenten bearbeitet wurde. Alles ging gut, die Galle ist raus und als Überbleibsel muss ich vorsichtig im Verzehr von Fett sein, was nicht wirklich im Widerspruch zu den Dogmen unserer Zeit steht.

Auch wenn die Operation erfolgreich war, ich keine Angst mehr vor Koliken zu haben brauche und ich als Logistiker ein tiefes Verständnis, ja sogar einen Faible für die Notwendigkeit einer sauberen und effizienten Organisation habe – den fahlen Beigeschmack, wie eine Sache behandelt worden zu sein, werde ich immer mit diesem Eingriff verbinden. Die Menschen, die ich in dieser Zeit getroffen habe, waren andere Patienten. Die Schwestern, Ärzte und sogar die sozialen Betreuer, die mich besuchten, haben in meiner Erinnerung allesamt die Aura von Apparaten, die sich an mir abgearbeitet haben.
Diese Situation hat sich verständlicherweise in meiner Erinnerung eingeprägt, weil sie außergewöhnlich war. Doch wenn wir unser Leben einmal unter diesem Gesichtspunkt beobachten, können wir feststellen, wie oft sie sich schematisch im Alltag wiederholt. Achten Sie beim nächsten Mal darauf, wie es Ihnen an der Supermarktkasse geht, an der Tankstelle, auf der Betriebsfeier, im Mitarbeitergespräch oder beim Elternabend: Immer dann, wenn Sie sich wie ein Objekt behandelt fühlen, wie eine Sache, dann ist Ihr Gegenüber kein Mensch sondern Personal.
Sicherlich treffen wir zwischen dem Personal auch Menschen. Ohne eine Frage meinerseits erklärte mir die junge, etwas nervöse Ärztin, in einem Moment, den ich als warm und gemeinschaftlich erinnere, welche Komplikationen es während meiner Operation gegeben hatte. Sie sagte mir auch, wie darauf reagiert wurde und dass deshalb der Eingriff fast um die Hälfte länger dauerte als üblich. Hinter dem Personal stecken also nach wie vor Menschen, doch was ist mit ihnen – mit uns – passiert?
Es ist trivial und komplex zugleich, es ist der Unterschied zwischen Leben und Funktionieren. Häufig sind etwa Verkäuferinnen freundlich, doch wir bemerken sofort, ob sie zuvorkommend sind, weil es ihnen gesagt wurde, dann empfinden wir ihre Nähe als aufdringlich, oder ob es ihre Natur ist. Ob ihre Kundenansprache einstudiert ist oder authentisch. Mit der Einführung des Personalwesens und seiner Spielwiesen Personalverwaltung und -entwicklung wurden die Menschen in Unternehmen zu Objekten, die auf eine bestimmte standardisierte Weise nach der Idee (sprich dem Plan) einer Elite (sprich dem Management) in den Unternehmensprozessen funktionieren. Es wäre ja halb so schlimm, wenn diese Versachlichung nur innerhalb des Unternehmens stattfinden würde, doch über den Kontakt zum Kunden, zu Lieferanten, zu Investoren und dergleichen mehr, wird sie auf alle Wirtschaftsbeziehungen ausgedehnt. Herr Grizmek würde das mit seinem charakteristischen Sprachfehler beschreiben: „Auch hier beweist die Spezies Mensch ihre unglaubliche Anpassungsfähigkeit an ihre Umwelt.“
Derart objektiviertes Personal wird einen Kunden ebenso als Sache behandeln, wie es dazu ausgebildet, bezahlt und angereizt wird. Es wird auch zugleich die Rechtfertigungen für sein Verhalten als Werte lernen. Sie werden Effizienz, Kostenbewusstsein, Prozessoptimierung, Versorgungssicherheit sowie -qualität, Kundenfokus, Null-Fehler und ähnlich heißen. All das ist manifestiert in der Funktion und Aufgabe des Personalwesens. Dabei ist Human Resources eine Entwicklung des gesunden Wirtschaftens. Im kranken Wirtschaften gab es keine Notwendigkeit dafür, da der Sklave oder Leibeigene in der Natur der Sache und auch juristisch korrekt bereits ein Besitztum, ein Gut, eine Ware war. Viele von uns waren damals so etwas wie ein Sessel, eine Kutsche oder ein Zuchttier.

Ändert man die Grundhaltung weg von einer aggressiven hin zu einer kooperativen Gesellschaft, muss man als Unternehmen in der freien Marktwirtschaft mit dem Fakt umgehen, dass aus den Dingen plötzlich gleichberechtigte Menschen auf Augenhöhe werden. Wo also Frederick Taylor noch auf ein gerüttelt Maß an »Halb-Menschen« in seinen Lösungen zurückgreifen konnte, sind wir seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts damit konfrontiert, dass Schwarze und Weiße, Gelbe und Latinos, Frauen und Männer, ja sogar Schwule und Lesben, also einfach alle Menschen vor dem Arbeits-Gesetz gleich sind. Die Gefälle zwischen Industriegesellschaft und dritter Welt sowie die Kinderarbeitsproblematik sparen wir an dieser Stelle einmal aus. Damit sie dennoch weiterhin sachlich funktionieren, braucht es Personal und damit das Personalwesen und die Arbeitspsychologie. Sie überwinden den Graben zwischen den Menschenrechten, welche die Freiheit in der Vielfalt einfordern und der im Unternehmen notwendigen Integration dieser Vielfalt in den Apparat. Sie machen aus Menschen Personal.

©Gebhard Borck

 

Gebhard Borck

Ich führe und berate seit über 10 Jahren. Ich habe zahlreiche Unternehmen unterschiedlicher Größe, Branchen und Nationen aus verschiedenen Blickwinkeln kennen gelernt. Als Autor bin ich seit 2004 tätig. Gemäß unserer Zeit habe ich vor allem in Onlineforen und -zeitschriften veröffentlicht sowie über mehre Jahre (2005 – 2008) gemeinsam mit Niels Pfläging die XING-Gruppe Beyond Budgeting inhaltlich voran getrieben und moderiert. Gemeinsam mit Niels und Andreas Zeuch habe ich 2008 die Kolumne bye bye Management bei changeX geschrieben. Affenmärchen ist mein erstes Buch. Seit 2009 veröffentliche ich gemeinsam mit meinen Netzwerk-Kollegen Andreas Zeuch und Markus Stegfellner. Bereits Ende der 90er Jahre befasste ich mich auch wissenschaftlich mit der Zukunft des Managements und habe meine Abschlussarbeit über Die Zukunft des Managements von selbststeuernden Prozessen verfasst. 

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