Massenmedien – Für Klicks die Seele verkaufen

Wir haben gestern sehr bewusst darauf verzichtet, mit Schlagworten, die sich auf das Unglück in Frankreich beziehen, Klicks zu erzielen und ich werde es auch weiterhin nicht tun, denn das, was seit gestern in unseren Medien an Reizüberflutung geschieht, das zeigt, wie abgestumpft und unsensibel man schon ist. Aus dem Spiegel wurde eine Zweitauflage der Bildzeitung, Maischberger ändert gar ihr Programm. Das weit und breit einzige Medium, das dieses verhalten hinterfragt, das ist quasi die FAZ.

Kapital aus dem Leid von Menschen schlagen, indem man andere so mit Nachrichten überflutet wie gestern, wo so gut wie alle anderen Themen von der Hauptseite verschwinden, darf man das? Anscheinend schon, denn daraus, aus jedem Klick, jeder guten Überschrift, könnten neue Leser werden, und schließlich geht es ja auch darum, bei google Platz 1 der Nachrichtenseiten nicht zu verlieren. Moralisch in Ordnung ist das hingegen nicht, und bereits als Fernsehkameras versuchten, die ersten Bilder von Gesichtern Hinterbliebener ab zulichten, fragte ich mich, muss das sein? Trauer und Schmerz sehen immer gleich aus. Und trotzdem hat man ihn wieder gezeigt, den Schmerz, hat man es fotografiert und gezeigt, das Gesicht des Schmerzes, weil im Hintergrund steht ja noch der Oscar der Fotografen, das beste Bild des Jahres, und nicht oft wird das Bild eines Gesichtes gekürt.

Und alle machen mit, sogar Medien wie das Handelsblatt, dessen Aufgabe, Auftrag eigentlich die wäre, über wirtschaftliche Themen zu berichten. Traurig. Muss das sein? Sind die paar mehr Klicks es wirklich wert? Kurbelt das das eigene Wachsen an, verhindert das eventuell sinkende Leserzahlen? Muss sich jetzt jeder an jede Nachricht, an jedes Unglück heften, das die Klicks bringt, die die Stammnachrichten nicht generieren? For a few Dollars more die Seele eines Blattes verkaufen? Kann man nur so im Netz überleben?

Wo streckenweise bemängelt wird, es werde zu wenig berichtet, da wurde gestern, wird heute noch immer, jedwede Grenze überschritten, da wird jede noch so winzige Neuigkeit unterfüttert mit Altnachrichten verpackt in einen Artikel, auf dass auch dieser ähnliche Klickzahlen, besser noch höhere bringe, als der vorherige. Und ich denke immer, wann geht euch endlich die Luft aus, euch, die ihr aus dem Leid von Angehörigen Kapital schlagen wollt, wann ist der Fundus der Überschriften endlich leer.

Und natürlich stellt sich eine weitere Frage, was macht das alles aus uns, die wir ja nur informiert werden möchten, ganz nüchtern, die wir nur erahnen können, wie sich dabei die Betroffenen fühlen? Sind wir wirklich so abgestumpft und fallen auf diese Masche herein? Ich habe mich dem verweigert, mir haben die Hauptseiten der Internetauftritte genügt, hat es gereicht zu sehen, wie negativ diese sich verändert haben, gestern und teilweise auch noch heute. X-fach neu verlinkt bei Twitter und Co, um nur ja keine Chance ungenutzt zu lassen, nicht doch noch irgendwo einen neuen Leser abgreifen zu können, ihn nur nicht der Konkurrenz zu überlassen.

Derweil fantasierten die Medien vor ein paar Tagen noch über den eventuellen Zusammenbruch der Stromversorgung im Zusammenhang mit der Sonnenfinsternis. Und ich sage, wenn hier irgendwann das Netz zusammenbricht, dann wird daran kein Netzbetreiber schuld sein, nicht fehlender Wind oder fehlende Sonne, es werden die Massenmedien sein, die so ein Klickaufkommen für sich selber werden versuchen zu generieren, dass dadurch jedwede Webseite zusammenbricht. …

Und ich sage, jedwede Nachricht zuviel richtet mehr Schaden an, als jede zu wenig, denn sie stumpft ab, und was das wichtigste ist, es ist den Angehörigen gegenüber eine Frechheit, dass über all dem die Geier der Medien kreisen dürfen, auch wenn Pressefreiheit ein hohes Gut ist, die dabei ungestraft den lachenden Dritten machen können. Jeder Cent jedes derart mit ihrem Leid und ihrer Trauer verdienten Klicks stünde ihnen zu, niemandem sonst. Sollen die Massenmedien für die Zukunft einen Fond gründen, aus dem den Angehörigen vorerst jene Hilfe zuteil wird, auf die sie im Falle des Ausfalls des Hauptverdieners, auf die sie aber oft auch ansonsten so sehr angewiesen sind, das alleine wäre fair, und dann würde ich klicken, dass sich die Balken biegen, jede noch so winzige Kleinigkeit lesen, die doch so gar keine Neuigkeit ist. Dann und nur dann ist es gerechtfertigt, Kapital aus der Trauer anderer schlagen zu wollen. Für alles andere verkauft ein Medium seine Seele.

Ich habe mir das bewusst gemacht, und es wird niemand wagen Lügenpresse zu rufen, wenn ein Medium sich besinnt und auf solche Einnahmen zugunsten guter, umfassender Einzelberichte mit fundiertem Inhalt setzt. Alles andere ist schäbiger Raubtierjournalismus, der hervorragend zum gleichnamigen Kapitalismus passt. Da haben sich dann die richtigen gefunden.

Und jetzt kehrt gefälligst zum Qualitätsjournalismus und zu Maß und Mitte zurück, sofern ihr noch irgendwo in den Redaktionen so etwas wie Rückgrat habt. Eine Bildzeitung reicht für den Rest, speziell für Fotos von leidenden Gesichtern von Angehörigen.

Meinen Lesern sei gesagt, ich bedanke mich für die gestrigen Klicks, die erfolgten, obwohl ich auf diesen Zug nicht aufgesprungen bin. Und denen, die kamen, weil sie eventuell meinten, bei uns Nachricht 99.999 zu finden, denen sage ich, ihr werdet sie bei uns nicht finden und Fotos dazu auch nicht. Heute nicht und demnächst auch nicht. Wir haben es bei Charlie Hebdo gelassen, und auf Kommentare beschränkt und werden auch in Zukunft nicht aus Katastrophen versuchen Klicks zu generieren. Wir beschränken uns aufs Kommentieren und Kritisieren, darauf Medien, Wirtschaft und Politik zu hinterfragen. Am Rad drehen für ein paar Cent können andere besser.

Und Frau Maischberger und denen, die so unbedingt arbeiten wollen, sei gesagt: tiefer kann man nicht mehr sinken …

©denise-a. langner-urso