von detlef obens eingereicht
In diesem Jahr jährt sich zum 35. Mal die Einführung der so genannten Psychiatriereform.
Als Ausgangspunkt für die Psychiatriereform in Deutschland wird heute die 1975 veröffentlichte Psychiatrie-Enquête („Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland“) gesehen.
Anlass genug, darauf zu blicken, ob die Ziele dieser Reform und der sie erstellenden Kommission erfüllt wurden.
Grundlegend kann dies zunächst mit einem JA beantwortet werden. Ausgangspunkt für eine Reform der Psychiatrie und ihrer Krankenhäuser waren die teilweise extremen Unterbringungszustände der Kranken in Schlafsälen, die leidvolle Geschichte der psychiatrisch erkrankten Menschen im dritten Reich, als auch die Entwicklung medikamentöser Behandlungsmassnahmen, die Einführung der Neuroleptika in den 50-er Jahren. Die Kritik begründete sich damit, das es sich sich um eine „Ausgrenzungs-„ und „Verwahrpsychiatrie“, in der katastrophale, menschenunwürdige Zustände herrschten, handeln würde. Die Patienten würden, teilweise lebenslang, gesellschaftlich isoliert, entmündigt und lediglich verwahrt, anstatt behandelt und rehabilitiert zu werden.
Zumeisst lagen die Psychiatrien am Rande der Stadt oder in wenig bewohnten ländlichen Gebieten. Die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber psychischen Erkrankungen war vielerorts gleich null. Hinzu kamen, vor Einführung der Neuroleptika, die Unzulänglichkeiten in der Erforschung diverser psychiatrischer Krankheitsbilder. Deren Ursprung, deren Symptome und gar der Therapie. Vor dem medikamentösen (Neuroleptika) Zeitalter standen den Ärzten zweifelhafte Behandlungsmethoden zur Verfügung, wie bspw. Elektroschock-Therapie oder Eiswasser-Therapie. Beides als Therapie zu bezeichnen dürfte aus heutiger Sicht höchst fragwürdig erscheinen. Als Beispiel dafür möchte ich auf die psychotischen Erkrankungen, wie Schizophrenie, eingehen:
Krankheiten aus dem schizophrenen Formenkreis, die oftmals das Verhalten und Wesen eines Patienten grundlegend ändern, mit Strom oder Eis behandeln zu wollen, führte demzufolge ins Nichts. Schizophrenie ist eine psychotische Erkrankung, d.h. die Menschen unterliegen vielfältigen Wahnvorstellungen. Am bekanntesten ist das so genannte “Stimmenhören”. Für einen gesunden völlig unverständlich und nicht nachvollziehbar, HÖRT der Erkrankte diese Stimme, manchmal auch mehr als eine, er nimmt sie wahr. Oftmals sind dies Stimmen, die für den an einer Psychose leidenden Patienten, quälend und stark belastend sind. Tag und Nacht ist er diesem Symptom ausgesetzt und für ihn ist es absolute Realität. Diese Stimmen, die durchaus auch mal freundlichen Charakter haben können, wirken sich auf den betroffenen Menschen in höchstem Masse destruktiv aus. Manche geben dem Erkrankten Befehle, dieses oder jenes zu tun, auch oft im Sinne von Eigen- oder Fremdgefährung, bis hin zum Mord oder Selbstmord und auch erweiterten Selbstmord. Andere Wahnphänome können sein: optische Halluzinationen, haptische (gefühlte auf der Haut) Halluzinationen, auch kann der Geschmacks-oder Geruchsnerv betroffen sein. Gegen solche Krankheitssymptome mit brachialen und nichts bringenden Mitteln wie Elektroschock vorzugehen, gehört eindeutig der Vergangenheit und dem psychiatrischen Gruselkabinett an.
In der Psychiatrie-Neuzeit werden Neuroleptika, (oder auch Anti-Depressiva u.w.), eingesetzt. Diese gibt es in mittlerweile vielfacher Form. Die Wirkstoffe setzen zentral, das heisst: im Gehirn, an. Sie wirken anti-psychotisch, stimmungsaufhellend oder sedierend, je nach Indikation, müssen konsequent und von Dauer eingenommen werden und stellen in der Behandlung von Psychosen (wie Schizophrenie) und weiteren psych. Krankheiten, ein nicht zu ersetzendes Therapiemittel dar. Das derart stark wirkende Medikamente Nebenwirkungen entfalten können, dürfte allgemein verständlich sein. In den letzten Jahren wurde aber diese Nebenwirkungen kontinuierlich weniger, bzw., es wurden entsprechende Substanzen eingesetzt, um diesen teilweise quälenden Nebenwirkungen, entgegenzuwirken.
Was hat sich getan seit 1975?
Nicht nur der Einsatz von gezielten Medikamenten hat das Bild der Psychiatrie grundlegend geändert. Dies allein wäre auch deutlich zu wenig gewesen. Man war sich bewusst, das die Arbeit mit psychiatrischen Patienten nicht mehr allein durch die landläufig so genannten “Wärter und ihre Oberschwestern (oftmals Nonnen)” professionell geleistet werden konnte. Hier war der Ansatz, die Mitarbeiter sinnvoll auszubilden, ein sehr entscheidender und auch wegweisender. Insbesondere das Pflegepersonal, welches den ganzen Tag mit den psychiatrischen Patienten befasst ist, erfährt heutzutage allerbeste Schulungen und staatlich anerkannte Weiterbildungen. Ich selbst habe eine zweijährige Weiterbildung zum Fachkrankenpfleger für Psychiatrie absolviert und bin für diese enorme medizinische Wissenserweiterung dankbar, da sie äusserst hilfreich, nicht nur im Umgang mit psychiatrischen Patienten, ist. Die ärztliche Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie soll dabei nicht unerwähnt bleiben. Auch hier werden regelmäßig die neuesten Standards vermittelt und gelehrt.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Zurücknehmen der Dezentralisierung von ehemaligen “Irrenanstalten” hin zu mehr Bürgernähe und einem normalen Leben. Viele städtische Krankenhäuser verfügen mittlerweile auch über das Fachgebiet Psychiatrie, oft in Verbindung mit der Neurologie. Den betroffenen Patienten wird damit der wichtige tägliche Kontakt zu anderen Menschen/Patienten nicht mehr vorenthalten. Viele Kommunen verfügen über einen sozial-psychiatrischen Dienst, der oftmals als Erstinstanz in einer Krisensituation vor Ort, direkt beim Patienten, eingreifen kann und die entsprechenden weiteren Wege vorgibt. Auch ist die psychiatrische ambulante Krankenpflege ein mittlerweile anerkannter Bereich. Geschultes Pflegepersonal besucht die Patienten in deren Wohnungen, betreut sie, attestiert bei der Medikamenteneinahme, dokumentiert die Krankheitsverläufe und sorgt somit auch dafür, das diese Menschen nicht stationär untergebracht werden müssen. Ebenfalls sei die Miteinbziehung weiterer anderer medizinischer und soziotherapeutischer Berufsgruppen erwähnt, wie PsychologenInnen, SozialarbeiterInnen, Ergo-und PhysiotherapeutenInnen und andere. Nur durch das Zusammenwirken aller dieser Fachleute ist das Umsetzen der Psychiatriereform von 1975 erst möglich geworden. Auch juristisch wurde deutlich nachgebessert, um zu vorschnellen Zwangseinweisungen in geschlossene Stationen adäquat vorzubeugen. Die Rechte des psychisch Erkrankten wurden spürbar verstärkt.
Mittlerweile ist das Fachgebiet Psychiatrie eines der umfangreichsten der gesamten Medizin. Jugend-und Kinderpsychiatrie kam hinzu, so wie auch die spezielle Psychiatrie des Alters, s. Demenzerkrankungen u.ä.. Neue Krankheuten wurden im Laufe der letzten drei jahrzehnte entdeckt, erforscht und einer erfolgreichen Therapie zugeführt. Ich denke hier u.a. an die kindliche Erkrankung ADHS, oder auch an das in der letzten Zeit immer bekannter werdende Burn-Out-Syndrom. Aber auch die jugendlichen Erkrankungen wie Magersucht, Bulimie oder das Borderline-Syndrom. Hinzu gekommen sind alle Formen der Suchterkrankung, die oftmals mit starken psychischen Störungen einhergehen. Die WAZ berichtete kürzlich über ein neues Medikament, welches angeblich Süchte produziert. Besonders von Bedeutung in der heutigen Zeit ist zudem noch einer der großen Volkskrankheiten, die Depression.
Auf das weitere große Fachgebiet innerhalb der Psychiatrie, die Forensische Psychiatrie, möchte ich in einem späteren Artikel unter Bezugnahme auf aktuelle Diskussionen (elektronische Fussfesseln, Sexualstraftäter) separat eingehen.
Alle hier genannten Erkrankungen können uns alle, jederzeit und an jedem Ort, treffen. Mann wie Frau, Kind wie Greis. Die Reform der Psychiatrie hat das Bewusstsein der gesunden Bevölkerung erweitert. Die Toleranz gegenüber psychisch Kranken ist spürbar gewachsen, wenn auch noch nicht umfassend genug.
Psychische Krankheiten sind DIE Krankheiten der heutigen Zeit. Sie haben nichts mit verrückt-sein, oder nicht-wollen zu tun. Sie zeigen einfach, das ein Mensch an seinem eigenen Leben erkrankt ist. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Aber diese Menschen haben heutzutage alle Möglichkeiten das innere Gleichgewicht wieder zu finden. Sei es unter Zuhilfenahme von Medikamenten oder anderer Therapien, oder auch in Kombination beider Säulen der Psychiatrie, oder auch einfach nur durch die Offenheit und Toleranz der Mitmenschen.
35 Jahre Psychiatriereform in Deutschland waren gute 35 Jahre. Mein ganz persönlicher Dank, das sei mir gestattet, gilt meinen vielen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen von der psychiatrischen und forensischen Krankenpflege, die einen professionellen Job leisten, der höchst anerkennenswert für die Gesellschaft insgesamt ist!
mit freundlicher Genehmigung übernommen von: detlef obens (Xtranews)