Schleckerfrauen, Preise, Konsumforschung – weniger ist mehr

In fast allen Zeitungen wird heute eine kleine Bilanz gezogen darüber, wie viele der Schleckerfrauen bereits eine neue Anstellung gefunden haben, und das wirf auf der anderen Seite auch Fragen auf, die man einmal stellen muss. Die Hälfte nämlich von ihnen nur hat erst wieder eine neue Anstellung gefunden, wenige der Damen haben den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt.

Was also sagen diese Zahlen?

Zum einen haben die ehemaligen Schleckerfrauen, die jetzt ein eigenes Geschäft gegründet haben sicher ein gutes Gespür dafür gehabt, ob in ihrer Umgebung sich dieses lohnt und da die Banken nie vorsichtiger mit Krediten waren als zuletzt, wird man was Kredite betrifft auch sehr genau hingeschaut haben, und zwar von beiden Seiten, ob sich eine Selbstständigkeit wirklich lohnt. Mensch und Bank belauern sich argwöhnisch und das ist vielleicht gar nicht schlecht, für einen erfolgreichen Start.

Man kann also denen nur alles Glück der Welt wünschen, die so mutig waren, diesen Schritt gegangen zu sein, denn man kann davon ausgehen, dass diese Frauen sehr genau bedacht haben, was wirklich am täglichen Bedarf fehlt, dass mit einem kleinen Laden sie in ihrem Umfeld das abdecken, wofür man ansonsten lange Wege in Kauf nehmen müsste. Gerade nämlich, wer lange angestellt war weiß ziemlich genau, welche Produkte reine Lückenfüller im Regal waren und welche vor sich regelrecht hin gammelten, weil sie zu teuer waren, weil die Nachfrage dafür einfach zu niedrig war.

Zahlen die jeden berühren

Die hohe Zahl derer, die noch nicht vermittelt werden konnten, sagen aber auch etwas aus, so bedauerlich sie sein mögen. Sie sagen etwas aus über unser angebliches Kaufverhalten, das es nicht gibt, über Fehlkalkulation, Fehlinvestition der Firma Schlecker und daraus können andere Ketten, wenn sie denn wollen und clever sind etwas lernen.

Ich gehe einmal nur von mir und den Menschen aus, die ich so kenne. Mir sind nämlich die meisten Läden viel zu überladen, viele Dinge werden so selten gekauft, sind so gleich, dass man sich bei jedem Einkauf ärgert, trotzdem an ihnen vorbeilabyrinthisiert zu werden. Und Kunden gehen viel gezielter einkaufen, als noch vor ein paar Jahren. Anders gesagt, zu großes Sortiment führt nicht zu Kauflust sondern Kauffrust. Ich weiß genau, was ich brauche und achte gezielt und zwar sehr gezielt darauf, wie man mich per Berieselung mit Werbeangeboten, die gar keine sind, beeinflussen will. Anders gesagt, das Überangebot geht mir dermaßen auf den Geist, oft auch die dadurch entstehende Enge, dass ich schon aus Trotz weniger kaufe.

Was mich stört, führt dazu, dass auf der anderen Seite aber zu große Flächen, Energieverschwendung und ein Überangebot an gestresstem Personal mir gegenüber stehen, das mir zu häufig im Wege ist, weil irgendwie immer gerade dann Regale sortiert werden, wenn ich das kaufe, was ich und anscheinend viele andere Kunden auch benötigen. Derweil herrscht in immer den selben anderen Gängen stets gähnende Leere, ja teilweise liegt Staub auf dem dort gelagerten, was mich annehmen lässt, dass den Mist dort niemand wirklich benötigt.

Die Enge bei den Dingen, die man hingegen benötigt ist erdrückend, die Kunden hier stehen sich auf den Füßen, pöbeln sich an, regen sich über die Enge auf, weil irgendwelche Paletten hier gerade entsorgt werden, warten, bis aus dem Lager das kommt, was der Mensch wirklich braucht.

Freundlichkeit, Bedarf und Lust am Einkauf

Und jetzt schaue ich mir einmal meine eigene Umgebung über 35 Jahre an, die dazu, in der ich aufwuchs. Beide liegen in Berlin, beide am Stadtrand und beide waren nette Kieze vor dem Fall der Mauer. Nach dem Mauerfall verschwand „mein Dorf“. Allen Ernstes, in beiden Gegengen ging man „Ins Dorf“ zum Einkaufen. Es gab dort alles, nicht jedes, dafür freute man sich hin und wieder in die Stadt fahren zu können. Beide Gegenden entwickelten sich nach der Wende ähnlich, es entstanden zuzüglich anonyme Einkaufsriesen, wie wir sie kennen. Die „ Dörfer“ verschwanden. Mit ihnen kamen 1 Euroshops, und, naja, Sie wissen schon. Was war passiert? Man war jünger, hatte ein Auto, fuhr und kaufte Masse, wir alle waren Schuld am Zerfall. Doch ein paar Standhafte hielten durch, derweil der Zerfall um sie herum wuchs und mit ihr die einstige Ruhe sich in Hektik wandelte, in Unfreundlichkeit, derweil die Menschen eigentlich dieselben waren. Neue Gesichter kamen hinzu, längst sind sie zu alten geworden. Und plötzlich, seit kurzer Zeit passiert etwas merkwürdiges.

Der Rückbau, das „Dorf“ kehrt zurück

Jetzt plötzlich bekommt meine Umgebung wieder ein freundliches Gesicht. Die Menschen haben die Großeinkäufe satt, die Hektik. Sie haben aber auch ihr Kaufverhalten geändert, viel nicht gekauft, was man eben nicht wirklich brauchte. Es hat sich eingependelt, das Neue und das Alte, die Menschen sind gealtert. Plötzlich wird aus dem kleinen Kramladen wieder ein Kramladen, der inzwischen mehrfach den Besitzer gewechselt hatte. Klar, bietet man Bedarf nicht an, bleiben Kunden weg, irgendwann war daraus ein Kiosk mit nur noch Zeitungen geworden. Das reicht vorne und hinten nicht für die Miete. Und das, obwohl es zwei Schulen in unmittelbarer Umgebung gibt, nach wie vor auch viele ältere Menschen.

Der Besitzer hat gewechselt, gegenüber ist endlich eine Apotheke entstanden, daneben ein Kaffee. Wer zuvor, was auch vor 35 Jahren nervte, 2 Kilometer fahren musste, bis er 5 Apotheken auf 500m fand, der bleibt jetzt hier, läuft. Der kleine Kramladen bietet neben Zeitungen wieder Süßtüten und Eis, viele kleine tägliche Dinge, Reinigungsentgegennahme an und siehe da, die Gegend belebt sich, der Umsatz steigt. Übrigens auch 2 Kilometer entfernt „im Dorf“. Die kleinen Ladenbesitzer blühen wie Blumen, das Bild ändert sich, die 1 Euroläden verschwinden. Man kauft lieber in der Nähe, gemütlich ein.

Stadtstraßen

Und dann fahre ich in die Innenstadt und sehe Modegeschäft an Modegeschäft und frage dort, wo man denn xy und z kaufen kann und muss erfahren, das gibt es so gut wie nicht, mehrere Kilometer brauche ich und finde doch nur große Geschäfte ohne Seele, die so sind, wie ich sie hasse. Billig zwar, und naja, das notwendige Brot, das packe ich gerade noch ein, der Rest bleibt liegen. Ich hasse sie, die Eigenmarkenriesen wie die Pest und freue mich auf meinen Kiez, der gerade wieder aus einer unerträglichen Totenstarre erwacht.

Für ein- zwei Jahrzehnte mag es ja nett gewesen sein, sich den Wagen ein paar Kilometer weiter bis ans Dach vollzustapeln, das aber ist lange vorbei. Heute kaufe ich nur noch Getränke, Milch und das Papier für den Allerwertesten auf Vorrat, verzichte aber ansonsten auf riesige Einkäufe. Es mag ja in meinem Umfeld manchmal das eine oder andere nicht geben, aber all das sind Dinge, die eigentlich niemand braucht. Mein kleiner Laden muss keine Gartenausstattungen, Fahrräder, Fernseher und all den anderen Mist vorrätig haben, muss kein Reiseanbieter und Möbelgeschäft sein, dafür gibt es Spezialisten und im Internet ist ohnehin manches günstiger, ja selbst das Kochen, wenn man nicht gerade Spitzenkoch ist, überlässt der Mensch immer öfter anderen und bestellt bei lieferando.de. Den Lieferservice online suchen, gehört doch zum guten Ton, derweil Familien zerfallen und man sich nicht einmal mehr zum gemeinsamen Essen trifft. Genug Zynismus – zurück zum Thema.

Dorfstraßen der Stadt, Kiez

Ich will auch keinen Zeitungsladen, der überlebt, weil an jedem Tag die selben Gestalten vor ihm sich ein Bier nach dem anderen in den Hals kippen. Ich will ihn so, wie er sich jetzt dank eines integrierten Mitbürgers, der absolutes Alkoholverbot auf seinem kleinen eingezäunten Gelände ausgesprochen hat, entwickelt. Einen, in dem ich Kinder und meine Nachbarn wieder treffe, einen, der mir den Weg zur Kilometer entfernten Reinigung abnimmt, der meinetwegen wie jetzt wieder Glücksspiele wie Lotto und so weiter anbietet und der an Feiertagen, wenn doch einmal das Kaffee geschlossen ist, sogar frische Brötchen hat, einen der mir auf Nachfrage auch yx und z an Zeitungen liefert und anderen Kleinigkeiten, wie eine Filtertüte, ein Päckchen Kaffee, sollte dieser doch einmal alle sein.

Und das Fazit?

Die Schleckerfrauen, die bis jetzt keinen Job gefunden haben tun mir leid. Es zeugt doch davon, wie falsch das Unternehmen geplant hat, welchen Bedarf es gar nicht gab. Sonst würden doch viel mehr dieser Frauen sich selbstständig gemacht haben, hätte der Umsatz gestimmt, damit sie ihre Arbeit eben nicht verlieren. Schlecker hatte scheinbar auch das Problem, nicht zu erkennen, wer, wo, was benötigt, so, wie viele andere Ketten auch einmal prüfen sollten, ob man wirklich das komplette Sortiment an jedem Standort braucht, ob die Ladenfläche so groß sein muss, die Öffnungszeit überall gleich. Ich jedenfalls habe lieber ein kleineres Geschäft mit nettem Personal und Platz als eins, wo ich meinen Verkäufer nicht kenne und wo jeder jeden unfreundlich anrempelt und sich um das prügelt, was viele brauchen, derweil andere Gänge verwaisen, wo man die riesigen Parkplätze so gebaut hat, dass dennoch die Hälfte stets leer ist.

Ich will Geschäfte, wo ich nicht mit 5 Verkäufern und 3 Mann vom Wachpersonal ab 20 Uhr alleine umher tanze und wo um 7 Uhr am anderen Tag die Menschen anstehen aus Angst, die Regale werden nicht aufgefüllt. Wo Mittags Verkäuferinnen abgehetzt sind, wie nach einem Marathonlauf. Ich brauche auch keine Läden, die an Sonntagen öffnen und Personal vorhalten, derweil dort vielleicht ein paar Kunden wie ich endlich die Ruhe am Regal und die Freundlichkeit vom Personal erfahren, die sie sonst vermissen.

Ich will Geschäfte, in denen die Geschäfte konstant an allen Tagen mich nett bedienen, wo ich direkt finde, was wirklich benötigt wird, mit Platz ohne sinnentleerte Überflüssigkeiten. Wo ich nicht Stoßzeiten habe, die eher an Massenpanik denn an einen Einkauf erinnern zu denen ich zudem eine Ausbildung im Bergsteigen benötige, wo die Dinge, die vielleicht fehlen dann auf Kundenwunsch an einem anderen Tag in Kleinstmenge auch vorhanden sind. Wo Fläche eingespart wird, wo der Kunde König ist, wo man eben dann doch die Mitarbeiter kennt, wo nicht am Ende des Tages oder Monats, wie auch immer genau das vernichtet wird, was in Regalreihen, die doch allenfalls einmal im Jahr aufgesucht werden, gammelt und staubt.

Entrümpelt endlich und macht bedarfsgerechte Angebote

Ich brauche nicht gefühlte 100 Sorten an Deo, Käse, Joghurt oder Süßigkeiten, Spirituosen, Weinen und Socken, Büchern. Ich will einfach Platz und Freundlichkeit und verabscheue Lebensmittelvernichtung. Nicht an jedem Standort muss ich alles kaufen können.Habt viel von dem, was Kunden wirklich kaufen und steht uns nicht mit Paletten im Weg! Räumt gefälligst dann ein, wenn wir uns verdrückt haben. Schafft Kassen wie anno dazumal, wo ein Stab die Ware so sortiert, dass der erste Kunde nicht vom nächsten weggedrängst werden kann und in Ruhe einpacken kann! Wir sind schließlich nicht auf der Flucht oder machen Packen zum Extremsport, bei dem wie in der F1 die hunderstel Sekunde zählt. Wir lassen und von euch doch nicht den Herzinfarkt treiben oder uns gegeneinander aufhetzen, weil der Platz nicht reich und es nicht fix genug geht.

Plant endlich regionengerecht und danach auch die Öffnungszeiten und sorgt für freundliches Personal, das einem auch einmal sagen kann, wo man denn, wird er wirklich einmal gesucht, in der Nähe den Kaviar oder das ausgefallene neueste Parfüm erhält, weil es die Umgebung kennt. Schafft endlich wieder Läden mit Flair und Persönlichkeit wo dann auch solche Menschen arbeitent, die garantiert einen gesicherten Arbeitsplatz haben, von dem sie leben können. Gebt der Einkaufswelt und dem angeblichen Konsum endlich wieder ein menschliches Gesicht.

Die Gesellschaft altert

Baut so, dass Menschen selbstbestimmt im Kiez leben können. Niemand muss mit 75 noch sein Auto bewegen müssen, weil er den täglichen Bedarf erst Kilometer entfernt erhält, der ältere Mensche will sich diesen erlaufen können. Denkt doch umweltbewusst und schafft solche Zonen endlich. Belbt verödete Innenstädt und verlegt eure Modezentren nach ausserhalb. Ältere Menschen brauchen andere, lebenswichtige Dinge. Dadurch wird übrigens auch entschleunigt. Eine alternde Gesellschaft ist nicht so schnell, auch ältere Arbeitnehmer nicht und doch brauchen wir sie, wollen sie tätig bleiben. Ihr brennt die Menschen ja bewusst aus, die dann fehlen, auch im Verkauf. Wir werden nicht weniger, wir werden mehr, an Älteren! Richtet euch endlich darauf ein, so wie unser kleiner kiez. Richtet euch aus nach Bedarf und Nachfrage, damit der Mensch mobil bleiben kann, für sich sorgen kann. Die Arbeit nimmt doch dadurch nicht ab, der Verkauf auch nicht, er ändert sich nur. Redet man eigentlich gegen Wände oder wacht die Wirtschaft endlich einmal auf?

Zieht Lehren aus der Schleckerpleite

Würde der Bedarf vorhanden sein, für Verkäuferinnen, dann hätten viel mehr der ehemaligen Schelckerfrauen heute wieder einen Job. Offensichtlich aber war er eben nicht vorhanden. So kann man auch Beschäftigung erhöhen, Menschen täuschen, nicht nur die jetzt arbeitsslosen Frauen. Betreibt endlich Konsumforschung vor Ort und stellt bedarfsgerechte gut bezahlte Arbeitsplätze zur Verfügung in Läden in denen das verkauft wird, was wirklich nicht jeder Kundenexot einmal im Jahr anfragt. Schafft Platz, Freiraum und Freundlichkeit. So bindet man Kunden Dauerhaft und nicht anders. Einkaufen macht dann Spass, wenn man nicht überall endlose Gleichheit sondern Individualität findet, wenn man auch einmal von a nach b sich bewegen muss.

 

©denise-a. langner-urso