Tatort-Alternative für Deutschland: Im Schmerz geboren

Der konservative deutsche Krimifan erwartet am Sonntagabend einen Tatort, der daherkommt, als habe seine rautenhändige Mutti ein andersfarbiges Kostüm von der Kleiderstange gepflückt. Möglichst leichenlos, plätschernd und einlullend wie das Musikantenstadl. Das erkennt man, wenn man das Lamento über das Tatort-Experiment, das ein grandioses Absurditätenmeisterwerk höchster Schauspielkunst war, analysiert. Empörung, #Aufschrei!

Wie kann es die ARD nur wagen! Und ja, die armen Kinderlein, so viel Blut! Derweil gerade diese Kinderlein, denen man wenigstens den Sonntagabend zum Familienevent ausgestalten muss, um etwas Familienleben vorzugaukeln, vermutlich ansonsten umgehend, wenn Mami und Papi das Haus verlassen und ihnen den Rücken zuwenden, sich auf den Computer stürzen und sich in Battlefield die zarten Seelchen aus dem Leib ballern. Soviel Ehrlichkeit soll dann doch schon sein.

Und die, die da jetzt am lautesten lamentieren, weil dieser Tatort mit allen konservativen Regeln bricht, die ein aus ihrer beschränkten Weltsicht guter Tatort zu bieten hat, das sind die, die anderen die Butter auf dem Brot und dem Nachbarn die Ruhe im eigenen Garten nicht gönnen, die mit dem Feldstecher der Nachbarin ins Fenster starren, wenn die Gattin das Haus verlässt, die ihrerseits über jeden Anwohner besser Bescheid wissen, als dieser selbst.

Die, die am lautesten jammern, das sind die, die besser einmal vor der eigenen Haustür kehren sollten, bevor sie mit dem Zeigefinger auf andere zeigen, die, bei denen es ausschaut, wie bei Hempels unterm Bett. Die, die der anderen Hälfte ihrer Mitmenschen den Spaß nicht gönnen, den sie selber sich verweigern, weil gewisse Dinge sich eben nicht gehören, sind die, die am liebsten noch immer von höheren Töchtern schwurbeln würden und vom echten männlichen, starken Mann, dem Mutti umgehend die Pantoffeln zu bringen und das Abendessen pünktlich um 18 Uhr zu servieren hat, inklusive dem gut gekühlten Bier, versteht sich.

Schade, dass dieser Teil der Bevölkerung von der ARD so enttäuscht wurde, wir ärgerlich aber auch, tztztz. Und dass dafür auch noch Gebühren bezahlt werden müssen, nicht zu fassen! Schade, wir trauern mit euch, ganz ehrlich, – mit hinter dem Rücken gekreuzten Fingern, versteht sich. Danke, für einen genialen Fernsehabend, liebe ARD, wir anderen haben lange genug Tatort-Schmerzen ertragen müssen, wir wären fast daran gestorben. Wiedergeburt im Schmerz der anderen, das hatte was!

Und ja, bis man sich davon ein Bild gemacht hatte, das dauerte etwas länger als sonst.

©denise-a. langner-urso