Von Journalen, Journalisten und Ichisten – Wo Petra Sorge irrt

Petra Sorge hat vor einiger Zeit im Cicero einen eigentlich herablassenden Artikel geschrieben, der doch vergnüglicher nicht sein kann:

Ichismus/Wie sich die Egomanie in den Journalismus frisst

Ich habe ein paar Tage gebraucht, um dazu meine Sicht der Dinge aufzuschreiben. Hier also nun meine Sicht, meine Antwort an Frau Sorge:

Eine Tageszeitung beschäftigt Journalisten, alleine das ist schon merkwürdig, ist doch ein Journal etwas ganz anderes, ein Magazin, das eben nicht täglich erscheint. Ein Journalist also kann jeder sein, der Zeitgeschehen aus seiner Sicht zusammenfasst.

Aber schon dadurch fühlt sich Frau Sorge angegriffen, es kann nicht sein, dass Journalisten zu Ichisten werden, dar Blogger sind, sich auch so bezeichnen. Ein Pressist, dass ist dagegen laut meiner Bezeichnung einer, der täglich schreibt, der seinem Blatte und dessen Ausrichtung verpflichtet ist, dafür bezahlt, bestimmte Meinungen die je nach Vorstandsbesetzung feststehen, zu bedienen. Gepresst, die Leitrichtung des Verstandes nicht zu verfehlen, nur dann genehmigt und gepresst auf Papier. Meine Meinung, meine Bezeichnung.

Freie, unabhängige Medien zur umfassenden politischen Meinungsbildung?

Pustekuchen! Oder haben Sie zuletzt einen einzigen israelkritischen Artikel des Herrn Augstein in der erzkonservativen Welt gelesen? Wann ist zuletzt ein israelnaher Artikel Broders im Spiegel erschienen? Oder beides im gleichen Medium gar nebeneinander zum gleichen Thema am selben Tag? Eben …

Was Frau Petra Sorge stört, das ist doch, dass gewisse Kollegen gleichzeitig bloggen, ihre Meinung äussern, dass diese Meinung so gar nicht zur politischen Richtlinie der Kanzlerin gehört, die sich, wie wir alle wissen, urplötzlich und sprungartig ändern kann, wenn es denn politisch gerade passt, weil jene Wählergruppen zu laut protestieren, die einst Union wählten. Man hat sich konform und uniformiert zu zeigen, die eigene Meinung gefälligst zu unterdrücken. Basta.

Und wehe, da sind wirklich von Großkonzernen und der Politik unabhängige freie Medien, die sind ganz übel, pfui, und das was da eigene Meinung auch noch kennzeichnet, das möge doch bitte sich nicht als Journalist bezeichnen dürfen.

Madame Sorge irrt sich gewaltig! Genau dort, wo unterschiedlichste Meinungen nebeneinander stehen, genau da sitzen die eigentlichen Journalisten, alle anderen nenne ich in Korsetts gepresste Pressisten!

Ein Journalist ist jemand, der vielfältiges Wissen, zuzüglich des eigenen zusammenfasst, dokumentiert, kommentiert, gerne aus seiner ichistischen Sicht. Und ohne diese wäre die Welt um vieles ärmer, wir wüssten weniger darum, woher wir kommen, wie wir uns entwickelten, was wir sind.

Ichistische Journalisten in der Geschichte

Die ersten Journalisten, das waren wohl Höhlenmaler, die uns Jagdszenen hinterließen. Hätte es das Internet gegeben, sie hätten vielleicht gezeichnete Blogeinträge hinterlassen, diese Egomanen …

Jedes weitere Gemälde das entstand, das politische, kriegerische Szenen beschrieb, weil es noch keine Fotographie gab, war Vorgänger der Fotojournalisten. Und will Dame Sorge etwa behaupten, Fotokünstler, die ein eigenes Atelier haben, die an Kriegsschauplätzen vor Ort fotographieren, die Stadtleben und Co aufzeichnen, für Zeitungen arbeiten, eigene Blogs betreiben, all sie dürften sich nicht auch gleichzeitig Fotojoirnalisten nennen? Doch, selbst wenn sie nur Blogs betreiben, sie halten Zeit im Bild fest, dokumentieren.

Später gab es Aufzeichnungen auf Papyrus von Kaufleuten, Tontafeln und so weiter. Journale von Zeitgeschehen, unendlich wichtig, um Geschichte zu verstehen, zu analysieren. All diese ersten Schreiber waren auch Journalisten ihrer Zeit.

Kriegstagebücher, wie wichtig sind sie heute, erst durch sie erhält man das Gesamtbild einer Zeit, in der es zuletzt auch schon Zeitungen gab, wo doch aber beständig zuerst die Wahrheit starb. Hätte es das Internet gegeben, hätten diese Menschen vielleicht gebloggt, und je nach politischer Vorgabe hätte man sie als Separatisten, Terroristen oder Widerstandskämpfer bezeichnet.

Heute sind Blogger aus dem Iran, aus Afghanistan oder Ägypten rar, doch es gibt sie, sie ersetzen den unfreien Journalismus, sie sind Journalisten. Es gehört sich nicht, das zu beschimpfen. Nur durch sie, ihren Mut, erhalten wir ein besseres Bild, durch Analysen abweichender existierender Meinungen dieser Journale einen Überblick über den Zustand dieser Staaten, den Zustand der Demokratie. Denn wer sich unabhängig, frei und demokratisch bezeichnet, der stellt Meinungen gegenüber, muss beides ertragen können, damit sich ein Volk eine politische Meinung bilden kann.

Was, so frage ich, wäre wohl geschehen, wenn Anne Frank ihre Lebensumstände hätte in einem Blog veröffentlichen können? Auch eine Journalistin ihrer Zeit, die die Welt mit ganz anderen Augen sah, als das, was die von mir als Pressisten bezeichneten Medien seinerzeit als politisch korrekt druckten. Auch hier also jemand, den Frau Sorge wohl als Ichisten beschimpfen würde, hätte das Mädchen sich online äußern und bloggen können. Aus meiner Sicht war Anne Frank eine der wichtigsten Journalistinnen ihrer Zeit.

Rückbetrachtung in späteren Generationen

Und ich gehe doch stark davon aus, dass eine Generation weiter, man speziell heutige Blogger zu Hilfe nehmen wird, wenn man gewisse Konflikte unserer Zeit hinterfragen will. Heute nämlich können andersdenkende, eine andere Meinung vertretende Mahner und Blogger aufrecht sagen, schaut her, wir haben nicht weggesehen, wir haben eine andere Meinung gehabt, egal unter welcher Regierung, man konnte sie nachlesen, es gab Menschen, die fragten, man hätte es sofort wissen können, wenn man gewollt hätte, denn das Internet vergisst nie.

Und schaut her, es gab solche, die werteten Journalisten ab, beleidigten sie, weil sie sich anmaßten, auch öffentlich einmal aus der Ich-Perspektive zu erzählen, weil sie sich das recht ihrer Kanzlerin zu eigen machten, urplötzlich ihre Sichtweise zu ändern, und ja, es gab auch Medien, die so frei waren, das zu ertragen, zu fördern, ja, freie unabhängige politische Meinungsbildung war den Menschen selbst in den Blättern großer Verlagshäuser und unter politischer Einflussnahme erlaubt. Es war eben keine Presse, da arbeiteten nicht Pressisten sondern Journalisten, Gott sei Dank …