Mensch zuerst!

Ein lesenswerter Artikel „ARGE: Arbeitssuchender, sie sind geistig behindert.“, ließ mich bei dem Begriff „geistig behindert“ stutzig werden!

So machte ich mich auf nachzuforschen, was unter dem Begriff „geistig behindert“ verstanden wird.

Also, zuerst schaute ich bei Wikipedia nach.

Klassifikation nach ICD-10

F70 Leichte Intelligenzminderung

F71 Mittelgradige Intelligenzminderung

F72 Schwere Intelligenzminderung

F73 Schwerste Intelligenzminderung

F78 Andere Intelligenzminderung

F79 Nicht näher bezeichnete Intelligenzminderung

ICD-10 online (WHO-Version 2006) Der Begriff geistige Behinderung (oder in medizinischen Kreisen auch mentale Retardierung) bezeichnet einen andauernden Zustand deutlich unterdurchschnittlicher kognitiver Fähigkeiten eines Menschen sowie damit verbundene Einschränkungen seines affektiven Verhaltens.

Eine eindeutige und allgemein akzeptierte Definition ist jedoch schwierig. Medizinisch orientierte Definitionen sprechen von einer Minderung oder Herabsetzung der maximal erreichbaren Intelligenz. So bezeichnet auch die International Classification of Diseases (ICD-10) dieses Phänomen als Intelligenzminderung (F70-79). Demnach lässt sich – rein auf die Intelligenz bezogen – eine geistige Behinderung quasi als Steigerung und Erweiterung der Lernbehinderung verstehen. In anderen Definitionen rückt statt der Intelligenz eher die Interaktion des betroffenen Menschen mit seiner Umwelt in den Blick.

Der alters- oder krankheitsbedingte Verlust einmal besessener Fähigkeiten (und damit auch der Intelligenz) wird als Demenz bezeichnet.

Diagnose und Differentialdiagnose

Eine Diagnose der geistigen Behinderung bezieht sich oft auf die Messung einer deutlichen Intelligenzminderung mit Hilfe standardisierter Intelligenztests. Ein Intelligenzquotient (IQ) im Bereich von 70 bis 85 ist unterdurchschnittlich; in diesem Fall spricht man von einer Lernbehinderung. Ein IQ unter 70 bedingt dann die Diagnose der geistigen Behinderung. Eine weitere Unterteilung dieses Bereiches wird von manchen Autoren als obsolet angesehen, da es keine Messverfahren gibt, die hier valide und reliable Ergebnisse mit der nötigen Trennschärfe ergeben.

Ist die Durchführung eines Intelligenztests zum Beispiel wegen einer körperlichen Behinderung oder einer Verhaltensstörung nicht möglich, werden andere Tests durchgeführt (zum Beispiel selbstständiges Essen und Trinken, Arbeitsproben, selbstständiges Ankleiden). Im Bereich der geringsten Intelligenzleistungen, die bei schweren Krankheitsbildern, Verwachsungen im Gehirn oder kriegsbedingt zerstörten Hirnteilen auftreten, wurde früher die Konditionierbarkeit auf bestimmte Reize diagnostisch verwendet. So ließen sich früher als imbezill bezeichnete Patienten mit positiven Reize oder regelmäßigen Gewohnheiten (Süßigkeiten, Essenszeiten) konditionieren, wo hingegen bei einem IQ unter 20 nur noch aversive Reize mit einer Vermeidungsreaktion verbunden werden konnten. Klinisch wurde die Diagnose vor allem im Sinn einer Grenzangabe (z. B. grenzdebil) verwendet, obgleich auch eine Skalierung mit Punktwerten vornehmbar war. Die Angaben verloren daher im unteren Bereich ihren Wert als Verteilungsfunktion und waren eine reine diagnostische Klasse.

Auch heute ist die Zuschreibung einer geistigen Behinderung anhand einer Intelligenzmessung sehr umstritten. Mittlerweile ist sie einer individuellen Einzelfallbeschreibung im Rahmen einer systemischen Analyse der Mensch-Umfeld-Verhältnisse gewichen, wobei IQ-Tests zwar regelmäßig durchgeführt, aber nicht als alleiniger Wert interpretiert werden (dürfen).

Einige Krankheits- oder Behinderungsbilder ähneln oberflächlich der geistigen Behinderung, sind jedoch im Sinne einer Differentialdiagnose von ihr zu unterscheiden. Das ist zum Beispiel der frühkindliche Autismus, die psycho-soziale Deprivation (auch Deprivationssyndrom oder Hospitalismus), die Demenz oder auch hirnorganische Krankheiten. Auch die so genannte Pseudodebilität (auch: Pseudodemenz, beim Erwachsenen Ganser-Syndrom) ist von der geistigen Behinderung zu unterscheiden, denn hier ist die kognitive Beeinträchtigung Konversionssymptom. Die hauptsächlichen Unterscheidungen bestehen darin, dass die geistige Behinderung von Anfang an besteht, dass keine Wahnsymptome vorhanden sind und dass das Sozialverhalten nicht autistisch ist. …

Eine andere Quelle fand ich und las ich durch, was hier unter „geistig behindert“ bezeichnet wird

Gebärdensprache

Was ist eine geistige Behinderung?

Eine geistige Behinderung läßt sich „charakterisieren als ein stark regelabweichendes, längerfristiges Vorherrschen anschaulich-vollziehenden Denkens …Dies anschaulich-vollziehende Denken und entsprechendes Lernen ist durch noch wenig ausgeprägte Vorstellungen von Gegenständen und ihren Beziehungen gekennzeichnet und hat dementsprechend noch eine verhältnismäßig unentwickelte Steuerungsfunktion- auch für Wahrnehmungsprozesse, Interessenbildung, sprachliches, soziales, gefühlsmäßiges Verhalten. Daher sind Menschen mit geistiger Behinderung nicht nur hinsichtlich ihrer geistigen Situation, sondern auch in den anderen genannten Bereichen mehr oder minder schwer beeinträchtigt- ganz abgesehen von häufig dazukommenden Körperbehinderungen, Sinnesschäden, Erkrankungen und anderen Benachteiligungen“1

Im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) heißt es: „Geistig wesentlich behindert … sind Personen, bei denen in Folge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft in erheblichem Umfang beeinträchtigt ist.“2

In der Medizin gibt es hierfür den Begriff Oligophrenie, also psychische Zustände, die vererbt oder frühzeitig erworben wurden und hauptsächlich die Intelligenz betreffen.

In der Psychologie achtet man vor allem auf die Retardierung der Intelligenz (IQ unter 65). Dabei wird jedoch außer acht gelassen, daß bei einer geistigen Behinderung nicht immer eine allgemeine Retardierung vorliegt, sondern manchmal auch nur bestimmte geistige Fähigkeiten betroffen sind.

In der Pädagogik definierte die Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates 1973: „geistig behindert ist, wer infolge einer organisch-genetischen oder anderweitigen Schädigung in seiner psychischen Gesamtentwicklung und seiner Lernfähigkeit so beeinträchtigt ist, daß er voraussichtlich lebenslanger sozialer und pädagogischer Hilfen bedarf. Mit den kognitiven Beeinträchtigungen gehen solche der sprachlichen, sozialen, emotionalen und der motorischen einher. Eine „untere Grenze“ sollte weder durch Angabe von IQ- Werten noch durch Aussprechen einer Bildungsunfähigkeit festgelegt werden, da grundsätzlich bei allen Menschen die Bildungsfähigkeit angenommen werden muß.“3

Inhaltsverzeichnis

1 Bach, H. Soziale Integration. Geistige Behinderung 3 (1982) , S. 138

2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG)

3 Deutscher Bildungsrat, Empfehlung der Bildungskommission, 1973, S.13

Es soll nur ein Eindruck entstehen, wie ein „anders sein“ in Begrifflichkeiten versucht wird, gewissermaßen von Außen von „Expert-inn-en“, zu beschreiben.

Auf der Webseite der „Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V.“, hier der Link: http://www.lebenshilfe.de/wDeutsch/ueber_uns/index.php, las ich, über uns, folgende Worte:

 

Die Bundesvereinigung Lebenshilfe – in wenigen Worten

Die Lebenshilfe versteht sich als Selbsthilfevereinigung, Eltern, Fach- und Trägerverband für Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien.

Die Lebenshilfe wurde 1958 in Deutschland auf Bundesebene von betroffenen Eltern und Fachleuten als Bundesvereinigung Lebenshilfe gegründet. Sie begleitet Menschen mit geistiger Behinderung in ihrem Bestreben, gleichberechtigt am Leben in der Gesellschaft teilzunehmen und tritt für die barrierefreie Gestaltung aller Lebensbereiche ein. Sie ist eine solidarisch handelnde Selbsthilfeorganisation mit kompetenten Beratungs-und Betreuungsangeboten, mit differenzierten Einrichtungen und erfolgreichen Projekten.

In der „Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.“ sind als Mitgliedsorganisationen 527 Orts- Kreisvereinigungen und 16 Landesverbände, die alle jeweils rechtlich eigenständig sind, zusammengeschlossen. Weitere Mitglieder gemäß der Satzung sind kooperative und außerordentliche Mitgliedsorganisationen. Insgesamt sind mehr als 130.000 Menschen in den Mitgliedsvereinigungen der Bundesvereinigung Lebenshilfe organisiert. …

In Anbetracht der Tatsache, dass diese „Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V.“ mittlerweile 51 Jahre alt ist, und ein Zusammenschluss von Eltern und Fachleuten ist, und sehr viel leistete, verwundert das Anwenden des Begriffes „geistige Behinderung“ nicht.

Doch 2001 erstrahlte ein anderer Stern, fast ganz unbemerkt, ein neu gegründeter Verein am Horizont, die nicht von Außen, von „Expertinnen“ einfach als „geistig behindert“ definiert werden wollten, weil sie für sich begriffen, wir sind zuerst Menschen!

Mensch zuerst

Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland e.V. ist ein Verein von und für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Wir sind Menschen, die nicht „geistig behindert“ genannt werden wollen. Wir benutzen den Begriff „Menschen mit Lernschwierigkeiten“. …

Wer sind wir? – Der Verein

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Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland e.V. ist ein Verein von und für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Wir sind Menschen, die nicht „geistig behindert“ genannt werden wollen. Wir benutzen den Begriff „Menschen mit Lernschwierigkeiten“.

Was bedeutet der Name unseres Vereins?

Hier sehen Sie die einzelnen Wörter, aus denen unser Name besteht und eine Erklärung dazu:

Netzwerk: Wir sind viele und wir arbeiten zusammen.

People First: Das ist Englisch und heißt Menschen zuerst.

Deutschland: Wir arbeiten in ganz Deutschland.

e.V.: Das ist eine Abkürzung und bedeutet eingetragener Verein.

Woher kommt People First?

Die People First Bewegung hat in Amerika angefangen. Dort gab es Menschen mit Lernschwierigkeiten, die mitreden wollten. Sie haben sich in Gruppen getroffen.

1974 hat eine Gruppe in Oregon eine Tagung gemacht. Eine betroffene Frau hat dafür den Namen People First gefunden. Sie sagte: „Ich habe es satt, geistig behindert genannt zu werden – wir sind zuerst einmal Menschen, eben People First“. Das war vor 30 Jahren. Inzwischen gibt es People First Gruppen auf der ganzen Welt.

Wir wissen, dass People First schwere Wörter sind. Wir wollen diesen Namen behalten, weil wir uns mit den anderen People First Gruppen auf der ganzen Welt verbunden fühlen. Wir kämpfen alle für unsere Selbstbestimmung. …

Was tun wir?

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Wir haben das Projekt „Wohnen, wie wir wollen!“

Wir machen Schulungen und Vorträge

Wir übersetzen in Leichte Sprache

Wir kämpfen gegen den Begriff „geistig behindert“

Wir arbeiten mit dem Verein zur Förderung der Gedenkstätte Hadamar e.V. zusammen.

Mensch zuerst bietet Plätze für Praktikanten und Praktikantinnen

Frauen-Beauftragte in Einrichtungen

Dies mag für viele Menschen etwas Neu sein, aber ich finde, diese Bewusstseinsveränderung ist nach 8 Jahren der Gründung des Vereins „Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland e.V.“ mehr als geboten, wie ja eindrucksvoll durch die verschiedenen Aussagen der angegebenen Quellen am Anfang nachzulesen ist.

Mich spricht dieser Verein von Herzen an, weil Betroffene, sicher mit Unterstützung auch von anderen Mitmenschen, für sich selber ihre Stimme erheben, die mitten im Leben stehen (wollen) und was in Bewegung bringen (wollen), was ihre Authentizität ausmacht! Ich selber kenne nur ihren Internetauftritt, der mir sehr gefällt!

Das Anliegen der Betroffenen, der Menschen mit Lernschwierigkeiten, sollte nicht nur von mir unterstützt werden!

Ich sage da nur:

Mensch zuerst!

©LoewinYawa Blog