Für eine Rezension unüblich, aber in diesem Falle unumgänglich, steht das sängerische Fazit dieser Premiere zu Beginn: Anna Netrebko, die Primadonna assoluta unserer Tage, war schlichtweg phänomenal. Sängerisch wie darstellerisch toppte sie ihre bis dahin schon mit Superlativen bedachten Leistungen der jüngsten Zeit noch einmal. Anna Netrebko, die mit dieser Belcanto-Rolle in Wien debütierte, konnte auf Anhieb Maßstäbe setzen.
Anna Bolena ist eine von vielen Opern des Vielschreibers Gaetano Donizetti. Kurz beschrieben handelt diese Oper von der Ehefrau des englischen Königs Heinrich VIII, Anna Boleyn (im italienischen, auch wegen der besseren Singbarkeit, Anna Bolena genannt). Anna Bolena, die Mutter der späteren Epoche-Königin Elisabeth I, endet auf dem Schafott. Einer Intrige ihres eigenen Mannes zum Opfer fallend, der somit einer Scheidung für damalige Zeiten wenig elegant aus dem Weg ging. Genau der richtige Stoff für eine dramatische Oper. Liebe, Intrige und Tod machten oft die Stoffe aus, aus denen Donizetti seine musikalischen Meisterwerke schuf.
Die Oper Anna Bolena gehört, neben der kürzlich hier rezensierten Oper Lucia di Lammermoor, zu seinen besten Werken. Ein wahres Füllhorn an Melodien eröffnet der Komponist in dieser Oper. Anna Bolena war und ist eine Paraderolle vieler großer Sopranistininnen, wie etwa einer Maria Callas oder der jüngeren Zeit, der Koloratursopranistin Edita Gruberova. Diese Oper stellt höchste gesangliche Anforderungen an die Protagonisten und wird demzufolge seltener aufgeführt.
An der Wiener Staatsoper wurde diese Oper erstmalig inszeniert. Die rezensierte Aufführung fand am 5.4.2011 statt . Arte-TV übertrug das Event live auf seinem Fernsehkanal.
Die Inszenierung von Eric Génovèse wirkt sehr statisch. Das Bühnenbild eher praktisch als opulent, die Kostüme der Protagonisten dagegen dem historischen Hintergrund angepasst. Viel Raum gab der Regisseur seinen Darstellern. Und dort setzte er auch dann die Glanzpunkte seiner Inszenierung.
Das Wiener Staatsopernorchester unter der Leitung des Dirigenten Evelino Pidò bestach einmal mehr durch seine Präzision, die man von einem Klangkörper dieser Qualität erwarten durfte. Das Dirigat und die musikalische Leitung von Evelino Pidò war bei ihm in besten Händen. Er führte Orchester, Chor und das sängerische Ensemble zu Höchstleistungen, die das Publikum am Ende der Oper förmlich von den Stühlen riss. Belcanto in höchster Güte.
Die Wiener Staatsoper wartete bei dieser Opernaufführung mit einer Topbesetzung auf. Neben Anna Netrebko als Anna Bolena, sang an diesem Abend Elina Garanča die Rolle der Rivalin Giovanna Seymour . Garanča gilt als derzeit gefragteste Mezzosopranistin weltweit und sie wurde diesem Ruf mehr als gerecht. Ihr warmes Timbre und ihre markant gesetzten hohen Töne, nicht nur im Duett mit Anna Netrebko, hatten Weltformat, welches derzeit seines gleichen sucht. Heinrich VIII, dargestellt vom ebenfalls weltbekannten Bariton Ildebrando d’Arcangelo wirkte stimmlich nicht so bösartig und abgebrüht, wie es die Rolle vorgibt. Dennoch ist auch seine sängerische Leistung höchst beachtenswert und eines Hauses, wie der Wiener Staatsoper, würdig. Alle weiteren Rollen dieser Oper waren dem Niveau dieser Aufführung entsprechend bestens besetzt und wurden ebenfalls sehr überzeugend dargestellt.
Star des Abend allerdings war die junge Mutter Anna Netrebko. Sie hat dieser Rolle mit ihrer Gesangsleistung einen Stempel aufgedrückt. Ihre Spitzentöne waren beeindruckend, die Mittellage besser denn je und ihre Bühnenpräsenz war schlichtweg umwerfend. Sie war zu Recht der umjubelte Star des Abends. Ihr Spiel wirkte nie übertrieben, und war zu keiner Zeit aufgesetzt.
Sie verkörperte an diesem Abend eine unglückliche Frau, die zufällig Ehefrau des Königs von England war und am Ende ihr Leben lassen musste, weil es ihr Mann so wollte. Und das tat sie schauspielerisch souverän. Mit kleinen Gesten und angepasster Mimik lebte sie die Rolle der Anna Bolena voll aus. Das sie dabei sängerisch eine Spitzenleistung ablegte, rundete ihr Rollenportrait ab. Als Anna Bolena braucht Frau Netrebko weltweit keine Konkurrenz fürchten. Sie ist die Opernsängerinnen unserer Tage und hat diesen Ruf einmal mehr bestätigt. Keine andere Sopranistin bringt es derzeit fertig, eine Topleistung nach der anderen zu produzieren. Ihre Rollenportraits der jüngsten Vergangenheit waren und sind beeindruckend und bestechend zugleich.
Arte-TV übertrug diese Oper sehr professionell, besonderes Lob der Kameraführung, und auf höchstem technischen Niveau. Die Fernsehübertragung dieser Oper durch das ORF im Nachbarland Österreich war ebenfalls ein großer Erfolg. Nie zuvor hatten so viele Österreicher einer Liveübertragung aus der Wiener Staatsoper via TV beigewohnt. Es war rundum ein prächtiger Abend!
©detlef obens