Erstellt von Detlef Obens am Freitag 14. Mai 2010
Der Ausgang der NRW – Wahl hat im Grunde nicht sonderlich überrascht. Viele demoskopische Institute haben landauf – landab diesen nun bekannten Wahlausgang prognostiziert. NRW hat nun ein 5 -Parteien – Parlament mit all seinen Neuerungen und Unwägbarkeiten, die das zwangsläufig mit sich bringt. Reine große Volksparteien gibt es nicht mehr, politische Blöcke sind nicht mehr klar erkennbar und “die Eine” Führungspersönlichkeit einer Partei ist auch Geschichte geworden.
* Sehnsucht nach politischen Führungspersönlichkeiten?
Da, wo früher in NRW Politiker vom Rang eines Rau die WählerInnen an sich banden, weil sie ihn ihm eine integrative Kraft und integere Persönlichkeit sahen, sind heutzutage ParteiführerInnen an seine Stelle gerückt, die kaum noch Massenbegeisterung auslösen. Dies ist sicher kein reines NRW – Phänomen. Auch auf Bundesebene werden die Politiker zunehmend austauschbar, da sie von den Menschen oftmals kaum noch von anderen Politkerkollegen unterschieden werden. “Willy-Willy-Rufe” gehören endgültig der Vergangenheit an. Das Faszinosum eines /einer großen Politikers/In besitzt heute niemand mehr. Legendäre Debatten im Bundestag, wie zu Zeiten eines Wehners und eines Strauss, die teilweise Strassenfegercharackter besassen, kennen viele nur noch aus den Geschichtsbüchern. Politik als privater anregender Gesprächsstoff mit Freunden beim Bier, der lebhafte Austausch von Ansichten über die einzelnen Parteien und deren Führungspersönlichkeiten im Kreis der Familie, ist einer allgemeinen Politik- und Politikerverdrossenheit gewichen. Die Menschen trauen “den Politikern” nicht mehr viel zu, schon gar nicht die Lösungen der vielfältigen Probleme in Deutschland und der Welt.
Fast langweilig ist es, die Nachrichten über korrupte, unehrliche oder selbstsüchtige Politiker in den Nachrichten zu hören, es erscheint den Menschen fast alltäglich. Der Berufsstand des Politikers / der Politikerin liegt im Ansehen des Wahlvolkes sehr weit unten auf der Bewertungsskala. Die politisch Tätigen, die stets und das seit Jahren, über die fortschreitende Politikverdrossenheit der Deutschen schwadronieren und nach jeder Wahl, die mal wieder einen neuen Tiefststand an Wahlbeteiligung verzeichnete, fordern, diese Gründe dafür zu analysieren, können das Ruder nicht herum reißen.
Wo ist die politische Begeisterungsfähigkeit und Euphorie der Deutschen geblieben? Man muss 20 Jahre zurück gehen, um dieses kollektive Phänomen dokumentieren zu können. Der Fall der Berliner Mauer und die Einheit Deutschlands war das letzte große Moment, welches für viele Menschen in unserem Land erlebbare und mitreissende Politik vermittelte. Aber auch diese Freude über ein deutsches Jahrundertereignis währte nicht lang. Zu groß waren die Probleme erkennbar, die durch die Wiedervereinigung entstanden. Ein Helmut Kohl konnte diesen euphorischen Massenzustand nicht lange konservieren. Der politische Alltag, das Weltgeschehen und das begleitende Parteiengezänk holten ihn schnell in die nüchterne Realität zurück.
* Wahlvolk nicht mehr am demokratischen Mitwirken interessiert?
Die Menschen werden zunehmend wahlmüde. Zu viele Wahlen in kurzer Reihenfolge heisst es wahrzunehmen. Bundestag-Landtag-und Kommunalwahlen, und das teilweise in einem Jahr. Dazu noch eine Europawahl, manchesmal auch noch eine darüber gestülpte Oberbürgermeisterwahl, und das bei kaum nennenswerten erkennbaren Parteiunterschieden, langweilen die oft frustrierten Menschen und treiben sie immer mehr in die mittlerweile große Gruppe der Nichtwähler.
“Ich kann doch eh nichts ändern!“…ist ein oft genutztes Argument derer, die nicht wählen gehen. Oder aber: “Ob ich Partei A oder Partei B wähle—ändern tut sich nix für mich! Am Ende kungeln die doch sowieso alles unter sich aus!” Dies sind Sätze, die allgemein bekannt sind und die Gemütslage vieler Millionen Nichtwähler beschreiben. In diesen Sätzen schwingt natürlich Wahrheit mit. Zu oft bekommen die Wähler das Gefühl vermittelt, das ihre Stimme nur noch Teil einer parteilichen Verhandlungsmasse ist, um einzelnen Parteien oder einzelnen Parteimitgliedern Vorteile in politischen Verhandlungen zu verschaffen. Weiterhin kommt hinzu, das selbst historisch schlechte Wahlergebnisse, wie jetzt beispielsweise die Ergebnisse in NRW von CDU und SPD, von den jeweiligen Parteien regelrecht hochgeredet und zum Anlass für Meinungsführerschaft genutzt werden. Das verstehen die Menschen nicht. Schwarz/Gelb, wie soeben in NRW, wurde kräftig abgewatscht und abgewählt. Aber: CDU und FDP sehen sich natürlich weiter als staatstragende und von den Menschen gewollte politische Alternativen. Aber auch die SPD, die ihr schlechtestes Ergebnis seit 1945 in NRW einfuhr–gleich der CDU–, schwingt sich zum einzigen und daher legitimen Wahlsieger empor.
* Die einmalige und vergebene Chance der Linken
Neue Parteien werden daher gern angenommen vom Wahlvolk. Wie die Partei DIE LINKE. Diese Partei, die antrat, anders zu sein als die bisher in Deutschland etablierten Parteien, sich abzuheben von der politischen Kaste und somit eine wirkliche Alternative darzustellen. Dies ist ihr Anfangs auch gelungen. Ihr großes Zugpferd Oskar Lafontaine, ein wirklich rhetorisches Talent und ein populistisch gewiefter Politiker, hat zu Beginn dieser linken Parteibewegung die Massen elektrisieren können. Aber die Linkspartei hatte ihre Chance und hat sie, ähnlich der anderen im Bundestag vertretenen Parteien, nicht nutzen können. Viel zu schnell passte sich diese Partei dem allgemein gültigen politischen Mainstream an, viel zu sehr empfahl sie sich, anstatt politisch, mit ihren innerparteilichen Streitereien und Richtungskämpfen den Bürgerinnen und Bürgern. Und, was sicher gravierender ist, sie war und ist im Umgang mit eigenen Parteimitgliedern, insbesondere den kritischen, hochgradig unsensibel und ungerecht, so das ihr der Nimbus einer aufrechten sozialistischen Partei schnell entrissen wurde.
Nun wird sie wahrgenommen als ein Club von Chaoten, von Spinnern und Radikalinskis. Statt sich zu bemühen, aus dieser Ecke herauszukommen, sich zu bemühen, ihre politischen Anliegen wieder mehr und gezielt in die Öffentlichkeit zu stellen, geht sie mit diesen despektierlichen Begriffen “selbstbewusst” hausieren und bestärkt ihre vielen Kritiker von sich aus selbst. Die Wahrnehmung der Linken, insbesondere der NRW-Linken ist schlecht. Diese Partei, dieser Landesverband, hält dem aber auch wenig entgegen. Die Süddeutsche Zeitung beschreibt diesen Zustand heute in einem Artikel ausführlich.
* Welche Partei soll ich heute noch wählen?
Das fragen sich die Menschen im Lande zunehmend. Zu austauschbar, zu beliebig erscheinen ihnen die Parteiprogramme. Zu sehr vermitteln die Parteien, das selbst Grundideale ihrer Politik verhandelbar und austauschbar geworden sind. Das politische demokratische Spektrum, von links bis rechts, erscheint den BürgernInnen oftmals wie ein großer bunter Brei, der scheinbar alle politischen Wünsche und Anforderungen befriedigen kann. Klare Konturen, ja Abgrenzungen, zwischen den einzelnen Parteien verschwimmen immer mehr. Zu sehr werden machtpolitische Strukturen und der Erhalt von persönlichen Ämtern und Posten der politischen Klasse wahrgenommen. Beispiel sei die HARTZ-4-Gesetzgebung einer SPD. Die Frage, ob dies unter einem Willy Brandt möglich gewesen wäre, auch jenseits aller wirtschaftspolitischen Zwänge, beantwortet sich fast von allein. Weiteres Beispiel sei die FDP. Eine liberale Partei, die hervorragende Politiker und Politikerinnen hervorbrachte. Hier seien u.a. Hildegard Hamm-Brücher und Gerhart Baum genannt. Sie aber steht heute für marktradikalen Kurs, für eine Politik der sozialen Eiseskälte und weniger für Fragen der Menschenrechte und anderer sehr sozialer Themen. Die CDU/CSU wandelt sich hingegen immer mehr zu einer rechten SPD, wohl aber mit dem Anspruch, das so genannte “rechte Wählerspektrum” abzudecken, was an sich unlogisch und schwer vermittelbar ist. Irgendwie ähneln sie sich alle und auch wieder nicht. Je nach politischer Lage und Thematik und anstehender Wahltermine. Und auch bei den GRÜNEN ist die anfängliche Aufbruchstimmung in eine gefällige Politik umgeschwenkt. Sie kann heute mit allen demokratischen Parteien koalieren und damit ihre Gründungsväter- und Mütter in eine vermutliche Rage versetzen. Aber sie wird als politisches Korrektiv noch gebraucht.
* Fehlen uns politische Leitfiguren?
So falsch es ist, seine Überzeugungen und politischen Ideale an und in eine einzige Person zu projezieren, so richtig kann es aber sein, dafür (für sich persönlich) eine glaubwürdige, überzeugende Persönlichkeit gefunden zu haben. Parteien bestehen nun mal aus vielen Menschen und aus weiteren Menschen, die diese Parteien anführen. Sie sind dann oft die Verkörperung dieser jeweiligen Partei, oder aber zumindest DAS Gesicht dieser Partei. An ihnen kann man sich reiben, kann sich hinter sie stellen, kann sie verdammen oder fast heiligsprechen, je nach persönlicher Auslegung. Alles ist aber falsch, obgleich massenpsychologisch erklärbar. Denn diese “Gesichter einer Partei” sind vielfältigen Zwängen, wie beispielsweise Parteitagsbeschlüssen oder Mitgliederbefragungen, unterworfen und vollführen oftmals nur einen Eiertanz zum Wohle ihrer eigenen Partei. Sie dienen einzig und allein dem Ziel, möglichst viele Stimmen für ihre Parteien einzufahren. Scheitern sie an diesem Ziel, scheitern sie meisst auch an ihrer weiteren Karriere. Und dennoch werden solche Leitfiguren benötigt. Im besten Fall repräsentieren sie die Ziele und Ideale ihrer jeweiligen Partei, im schlechtesten Falle sind sie die Verantwortlichen für Misserfolge und verfehlte Politik und müssen ihren sprichwörtlichen Hut nehmen. Heute sind diese gemachten Ikonen der Parteien eine mittlerweile aussterbende Spezies.
Mit Oskar Lafontaine verlässt an diesem Wochenende einer der letzten seiner Gattung die politische Bühne. Sein Abgang ist der Anfang eines schmerzlichen Prozesses für die Linkspartei hin zu einer Partei, die ohne Leitwolf die Menschen in Deutschland erreichen will und muss. Einen politischen Dinosaurier wie Lafontaine ersetzen zu wollen, oder ohne ihn das politische Laufen weiter zu erlernen, wird schwer werden für die Genossen und Genossinnen dieser Partei. Zu übergroß ist sein Schatten, der auf dieser relativ jungen Partei liegt. Am Ende ist er, wie seinerzeit Adenauer, Brandt, Schmidt oder Kohl, ein fest zementierter Fixstern in der Geschichte der Partei. Ein Fixstern, der dann zum Leuchten gebracht wird, wenn man ihn zur Orientierung braucht, an dem aber sonst die Karawane der Partei unbarmherzig weiter zieht.
Foto-Pixelio: tommyS
zuerst erschienen in: DEMOKRATISCH – LINKS / KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG im MÜNSTERLAND