Politisch korrekt „deutsch“ bedeutet anderswo: uninteressiert und unhöflich

Mich hat vor einigen Monaten etwas tief erschüttert, nämlich die Frage eines Mitbewohners, ob er mir vielleicht einmal ein paar Videos und Fotos aus seiner Heimat China zeigen dürfe. Ich wage es ja nicht von mir aus zu fragen, woher jemand kommt, ich will nicht, dass jemand diese Frage falsch versteht. Und natürlich hatte ich längst gegooglet, woher mein Mitbewohner kommt, wie es dort aussieht, wie die geschichtliche Entwicklung war. Nur zu fragen, das habe ich mir verboten, man weiß ja nie …

Klar, ich war erfreut, und das sagte ich auch, und er fragte umgehend, warum ich, wenn mich doch dermaßen interessiert, wie es in seiner Heimat ausschaut, woher er kommt, und wie es sich dort lebt, nicht einfach gefragt habe, und ich sagte ihm schlichtweg die Wahrheit: in Deutschland wird man für so eine Frage, wenn der falsche Partner zuhört, umgehend in die rechte Ecke verschoben.

Mein Gegenüber konnte es nicht fassen, und sagte darauf, er verstünde jetzt erst, weshalb man ihm niemals im Kollegenkreis nähere Fragen zu Land und Leuten stellt, wie sehr ihn das immer verunsichert, und dass man umgekehrt, wenn man so dicht miteinander lebt und arbeitet, natürlich fragen würde, wie es denn sei in Deutschland zu leben, aus welcher Region jemand käme und wie es um die geschichtliche Entwicklung bestellt sei.

Dass jemand solche Frage überhaupt als rechtslastig bezeichnen kann, war für ihn nicht nachvollziehbar. Er war die ganze Zeit davon ausgegangen, dass ich schlicht an ihm, wie er gelebt hat, bevor er nach Deutschland kam, und seinem Land kein Interesse hätte.

Man kann also viel verkehrt machen, wenn man Fragen einfach aus politischer Korrektheit nicht mehr zu stellen wagt, und aus der Angst heraus, dadurch in irgendeine Ecke geschoben zu werden, in der man nicht steht.

Die Frage, die also bleibt, wann ist der richtige Zeitpunkt, wenn man tatsächlich mehr über den Menschen gegenüber, über seine Lebensgewohnheiten und Geschichte erfahren will und wie fragt man danach, ohne dass irgendjemand dadurch dem anderen umgehend etwas unterstellt, was er nicht ist? Ich jedenfalls habe verstanden, dass man schnell als desinteressiert und unhöflich gilt, wenn man eben nicht fragt.

Wer nicht fragt bleibt dumm, das jedenfalls habe ich einmal gelernt, und wenn dazu kommt, dass man dann noch so gesehen wird, wie oben passiert, dann ist eine Grenze erreicht, wo man am Ende lieber einmal mehr fragt, statt zu wenig. Mich jedenfalls interessieren die Menschen, mit denen ich lebe, und ich habe ein Interesse auch daran, wie sich ihre Länder immer rasanter wandeln und verändern, und wenn ich das wissen möchte, dann muss ich auch fragen dürfen, woher jemand kommt, denn jedes Land ist größer als etwa Monaco, und selbst da gibt es Unterschiede. Ich bin also lieber höflich, falle deshalb nicht umgehend mit der Tür ins Haus, aber irgendwann will ich dann eben doch mehr über mein Gegenüber wissen und fragen dürfen, und das kommt dann aus keiner rechten, sondern aus einer interessierten Ecke.

So, nun wisst ihr Bescheid, politisch zu korrekt geht im Alltag und im täglichen Miteinander einfach nicht, ist unrealistisch und wird oft als unhöflich und desinteressiert angesehen. Und das kann es ja wohl auch nicht sein, dass wir plötzlich derart angesehen werden, oder? Darüber darf jetzt gerne einmal nachgedacht werden.

©denise-a. langner-urso