Grenzgebiet Syrien/Türkei: Salafisten wüten ungehindert in Kasab

Zu diesem Thema, zu Vertreibung, Mord und Folter in der Grenzregion zur Türkei/Syrien, findet sich in den großen Massenmedien bisher aber eher wenig, besser nichts.

Alleine Telepolis hat dieses Thema vor ein paar tagen aufgegriffen, und es steht zur Debatte, dass Erdogan ganz bewusst wegschaut, wenn aus der Stadt Kasab Christen und armenische Flüchtlinge, die vorher aus Aleppo vertrieben wurden, ermordet und gefoltert werden. Auch sollte die Bundesregierung nicht schweigen, wenn es um die Verfolgung von Minderheiten geht, denn die Türkei scheint ganz bewusst Oppositionelle zu unterstützen, die vertreiben und morden.

Heute nun erreicht uns zu dieser Thematik Brief an Herrn Ban Ki-Moon, den wir natürlich gerne unseren Lesern zugänglich machen, denn vielleicht werden ja über Umwege und weitere Verlinkung die großen Medien irgendwann aufmerksam und greifen das Thema auf, zumal eine Kopie ja auch an unseren Außenminister Steinmeier ging. Hinzu kommt, dass dort in der Region ja unsere Bundeswehr im Einsatz ist, was die Verantwortung zum Schutz der Flüchtlinge erhöhen sollte. Die Türkei vor Angriffen schützen und gleichzeitig der Verfolgung von Minderheiten im Grenzgebiet zur Türkei zuschauen, gar wegsehen das geht gar nicht:

*Offener Brief an Herrn Ban Ki-Moon, Generalsekretär der Vereinten Nationen*

Sehr geehrter Herr Generalsekretär,

die kleine Stadt Kasab im syrisch-türkischen Grenzgebiet hat in den letzten Tagen einen Alptraum erlebt: die offene Fortsetzung des türkischen Genozids an den Armeniern aus den Jahren 1915 ff. Offensichtlich hat die türkische Regierung den Kämpfern der Al-Nusra-Front grünes Licht gegeben, die Stadt zu überfallen. Die Bewohner Kasabs und der umliegenden Dörfer – vor allem armenische Christen – mussten fliehen. Die wenigen Zurückgebliebenen wurden als Geiseln genommen und gefoltert.

Wir sind in höchstem Maße beunruhigt. Kasab ist ein Symbol des Muts und des Überlebenswillens der Armenier. Diese Stadt, Teil des mittelalterlichen Kilikisch Armenischen Königreichs, hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Während des Genozids, der fast auf den Tag genau vor 99 Jahren von der osmanischen Regierung ausgerufen wurde, waren die meisten Einwohner gemordet, in die Wüste getrieben oder verschleppt worden. Nach dem ersten Weltkrieg wurde die Stadt französisches Mandatsgebiet. Die Überlebenden des Genozids wehrten sich mit Erfolg gegen die 1938 geplante Rückgabe an die Türkei: Sie waren sicher, dass sie eine solche Operation nicht überleben würden. Und jetzt? Jetzt hat die Türkei zugeschlagen, um das Werk von 1915 zu vollenden. Der Augenblick ist gut gewählt: die Weltöffentlichkeit schaut Richtung Krim und Ukraine, da fällt eine solche Aktion weitab von den Brennpunkten der Politik nicht weiter auf!

Die Armenier in aller Welt sehen, dass die Türkei, indem sie Kasab vernichten lässt, ein armenisches Symbol zerstören will. Das Angebot des türkischen Außenministers, armenische Flüchtlinge aus Kasab in der Türkei aufzunehmen, kann man nur als bitteren Zynismus verstehen. In Wirklichkeit ist es wohl eher so, dass die Türkei eine Warnung an die Armenier im eigenen Land, aber ebenso auch in der Diaspora gegeben hat: Haltet Euch ruhig, und hört endlich auf vom Völkermord zu reden – sonst droht Euch Kasab“. Klar erkennbar hat die türkische Regierung erhebliche Angst davor, dass die Weltgemeinschaft im nächsten Jahr am 24. April, zur 100. Wiederkehr des Genozids von 1915, einen breiten Konsens der Anerkennung finden wird.

Wir appellieren an die Vereinten Nationen und an Sie persönlich, mäßigend auf die Türkei einzuwirken und alles zu tun, um den Schutz der Christen in der Türkei und in den grenznahen Gebieten in Syrien zu gewährleisten. Die Flüchtlinge müssen geschützt werden, die Weltgemeinschaft muss sicherstellen, dass die Menschen in ihre angestammte Heimat zurückkehren können.

Wir Armenier in Deutschland und in Europa fühlen uns aufs Engste verbunden mit den Menschen von Kasab. Wir werden auf die Straßen gehen und für das Leben unserer Landsleute demonstrieren. Wir erheben unsere Stimme gegen Völkermord und Christenverfolgung. Wenn wir am 24. April wieder der Opfer des Genozids von 1915-1923 gedenken, wird das auch eine mächtige Demonstration gegen die anhaltende Leugnungspolitik der Türkei sein, die bis heute die Wahrheit über den Tod der Opfer verweigert. Und das betrifft keineswegs allein die Armenier – es betrifft ebenso viele andere ethnische und religiöse Gruppen in der Türkei, wie etwa die Hunderttausenden Assyrer/Aramäer, Eziden und kleinasiatischen Griechen, die wir alle bis heute drangsaliert und schikaniert werden.

Bitte helfen Sie, diese Leugnungspolitik zu beenden. Wir sind sicher: Erst wenn die Türkei sich zu ihrer Geschichte bekennt, erst wenn die Türkei
bereit sein wird, den Völkermord anzuerkennen und ihre eigene Geschichte ehrlich aufzuarbeiten, wird sie ihre Politik ändern und werden wir in Frieden miteinander leben können.

Hochachtungsvoll
Azat Ordukhanyan
Vorsitzender des Armenisch-Akademischen Vereins 1860 e.V.
31. März 2014

Kopie an:
Bundesminister des Auswärtigen, Herrn Frank-Walter Steinmeier
Regionales Informationszentrum der Vereinten Nationen für Westeuropa
(UNRIC), Verbindungsbüro in Deutschland