Osten? Westen? Trauma!

 

Heute ist in der Zeit ein Artikel erschienen, den ich eigentlich überhaupt nicht oft genug lesen kann und der die Frage stellt, ob man den Osten noch versteht. Nein, denn ich habe den Osten nie verstanden, ganz im Gegenteil, er hat mir immer Angst gemacht, nicht nur vor der Wende, im Gegenteil, er machte mir schon kurz danach noch mehr Angst und derzeit wohl am meisten. Die Menschen dort haben mir immer Angst gemacht, auch die aus dem Familienumfeld. Und es ist eine Gnade, in einer Demokratie geboren zu sein, und direkt nebenbei zu lernen, wie sich das Leben in einer sich entwickelnden Diktatur anfühlt, weshalb ich es nicht verstehen kann oder will, warum Menschen, die sich aus genau dieser Diktatur befreiten, anschließend einer Demokratie die Diktatur andichten wollen. Und das wird sich auch nicht ändern, schon gar nicht, wenn ich sehe, nach welchen Führern sch solche Menschen vorstellen können, denn gegen die war die DDR-Diktatur tatsächlich ein Fliegenschiss.

Sehr, sehr dunkel kann ich mich daran erinnern, nur schemenhaft allerdings, dass irgendwann meine Oma aus dem Osten in Berlin war und dass alle weinten, und dass danach ich sie länger nicht mehr gesehen habe. Erst viel später erfuhr ich, dass die Frage im Raum stand, ob sie hier bleiben oder nach Hause fahren sollte, zurück nach Dresden, dahin, wo mein Onkel und meine Tante lebten. Sie fuhr zurück.

Dann erinnere ich mich daran, wie wir in den Urlaub fuhren, und daran, dass man als Kind an der Grenze so ruhig wie möglich sein musste und nur nichts sagen sollte, daran, wie das Auto durchsucht wurde, an die unfreundlichen Stimmen der Beamten, die die Kontrollen durchführten, und daran, dass man bei Besuchen niemals laut reden durfte, mit niemandem anderen sprechen durfte als dem Familienkreis, weil dauernd gesagt wurde, irgendjemand würde eventuell mithören, und ich erinnere mich daran, dass die Erwachsenen mit uns Kindern irgendwo spazieren gingen, wenn sie sich über was auch immer unterhalten wollten, außer darüber, wie das Essen geschmeckt hat.

Ich erinnere mich auch daran, dass man zwar abends fernsehen durfte, sehr spät und selten auch einmal Sender aus dem Westen, das aber so leise, dass man kaum etwas verstand, weil auch das verboten war.

Ich erinnere mich an eine Autopanne auf der Transitstrecke und als die Polizei kam, an den rüden Ton, weil man da wo das Auto liegengeblieben war, schlicht nicht hätte halten dürfen, und an das Eskortieren durch die Polizei danach.

Dann auch anschließend an die Besuche die Kontrollen, ob man nicht doch etwa Geld aus dem Land bringen wollte. Und wie unwohl man sich in Berlin gefühlt hat, wenn U-Bahnen durch Ostgebiete fahren mussten, durch dunkle Bahnhöfe, an denen sie nicht hielten, im Schritttempo vorbei, wo teilweise schwerbewaffnete Beamte standen. Dann die besuche als Schüler in Ost-Berlin, auch dort die Kontrollen, vorab die Warnung durch die begleitenden Lehrer, man dürfe dort mit niemandem reden, sich nicht ansprechen lassen.

Sehr viel später dann ein Urlaub mit meinem späteren Mann, bei dem wir wie immer die Transitstrecke benutzen mussten, und das in einem Auto, dass wir gebraucht gekauft hatten. Und wir hatten das Auto komplett auf den Kopf gestellt, und trotzdem finden die Beamten irgendwo eine Kassette. Ich werde nie vergessen, wie rüde man uns beide aus dem Auto holte, umgehend trennte und ich musste mit den Männern ebenso mit wie mein Freund, und dann wurde man in eine Kabine geführt und musste sich splitterfasernackt ausziehen. Es war absolut entwürdigend!

Erst nach dem Urlaub bekamen wir auf der Rückfahrt diese Kassette zurück, und was hatte der Vorbesitzer aufgenommen? City! Sorry, aber nein, die Altkader wurden doch im Dienst nach der Wende belassen, was ich bis heute nicht begreifen kann, so wie mir die Entnazifizierung auch viel zu lasch erscheint, die es durch die Alliierten gab, vom Totschweigen im Osten mal ganz abgesehen. Man mah es glauben oder nicht, bis heute fällt mir ein Stein vom Herzen, wenn ich die erste raststätte im Westen oder den Berliner Bären auf der Heimreise an der Avus passiere. Ich werde im Leben mit der den Osten durchquerenden Autobahn nicht mehr warm.

Dann machte mein Mann, der ja Italiener ist, auch noch kurz nach der Wende ein Restaurant in Apolda auf, und was soll ich sagen? Schon zu der Zeit gab es Übergriffe von rechts. Ich bin bis heute unendlich dankbar, dass er sich entschlossen hat, irgendwann wieder zurück nach berlin zu kommen, denn ich mochte nicht einen einzigen der dortigen Besuche und habe jeden Tag dort gehasst.

Und die Beziehung zur Verwandtschaft nach Dresden? Null, ist für uns Kinder immer fremd geblieben, fremder geworden, je älter man wurde und das wird sich auch nie ändern, viel zu unterschiedliche Lebensläufe, viel zu viele schlechte Erinnerungen. Nein, da führt kein Weg mehr hin, in den Osten. Ich fühle mich ja heute noch unwohl, wenn ich innerhalb Berlins in die alten Ostbezirke muss, und das hat eher zu- als abgenommen. Ich denke, den Weg müssen unsere Kinder und Enkel bewältigen. Was ich jedoch nicht verzeihen und verstehen kann, ist, dass die Spaltung erneut aus dem Osten vorangetrieben wird, denn vom Westen wurden alle die aus dem Osten kamen, voller Freude und mit offenen Armen empfangen, und ich verstehe bis heute nicht, wieso Menschen um etwas trauern, was ihnen auch im Osten nie gehört hat.

Die Argumente zur Treuhand, egal, was da schief lief, halte ich für vorgeschoben. Viel eher bin ich überzeugt, wir Wessis haben erlebt, wie es sich anfühlt eine Diktatur bei Autofahrten oder Besuchen erleben zu müssen und die Ossis haben erfahren, wie es ist, wenn eine Diktatur in eine Demokratie umgewandelt wird, da sind Erfahrungen gemacht worden, die sind für beide Seiten gleich schlimm, und da führt dann eben in der Zwischengeneration derer, die um die 60er Jahre geboren wurden, halt kein Weg mehr zueinander, und vielleicht liegt genau darin das Problem, wir wissen, wie Diktatur ausschaut, wie sie entsteht, und die andere Seite weiß wie man sie beendet, nicht aber, wie man dauerhaft mit demokratischen Strukturen umgeht. Und genau das ist die Aufgabe unserer Kinder, eher Enkel, da den Ausgleich zu schaffen. …

©denise-a. langner-urso